Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
die beiden Industriezweige, um die es im Roman hauptsächlich geht, an der Spitze der amerikanischen Wirtschaft standen. Die Fünfzigerjahre, in denen es mit der amerikanischen Eisenbahn dramatisch bergab ging, scheiden damit aus, aber es spricht viel für die Dreißigerjahre, als Stromlinienzüge und Stahlwerke die Symbole amerikanischer Wirtschaftsmacht darstellten. Und obwohl das Buch im Fernsehzeitalter herauskam, werden die diversen Reden, in denen die Charaktere Rands marktfreundlichen Nietzscheanismus predigen, allesamt im Radio übertragen – das große Medium der Dreißigerjahre. Das Fernsehen wird nur beiläufig erwähnt.
Viele weitere Kleinigkeiten deuten darauf hin, dass der Roman zur Zeit der Weltwirtschaftskrise spielt. Das Buch beginnt mit einem kurzen Wortwechsel zwischen einer der Hauptfiguren und einem »Bettler«, der um »zehn Cent« – einen »dime« – bittet. Die Haupthandlung – die Kapitalisten treten in einen Streik und legen das Land lahm – greift einen Diskussionspunkt der Liberalen aus dem Jahr 1937 auf. Als die Wirtschaft in die Rezession abrutschte, warfen einige Berater Roosevelts den Reichen vor, in einen »Streik des Kapitals« getreten zu sein. Und die literarische Schilderung der großen Angst von 1932 – vor dem Zerfall der Gesellschaft – ist eine von Rands wenigen ästhetischen Stärken. In zahlreichen Szenen werden die Armut auf dem Land, apathische Menschen, von Unkraut überwucherte Häuser und Städte, verzweifelte Familien, die mit ihren Habseligkeiten durch die Straßen ziehen, und Kinder, die wie streunende Tiere leben, beschrieben. Jede einzelne dieser Szenen könnte aus einer Essaysammlung über den Niedergang des Landes zur Zeit von Herbert Hoover stammen.
Dasselbe trifft auf die Romanfiguren zu, allesamt kapitalistische Helden-Opfer. Eine soll sich an Ivar Kreuger orientiert haben, einem zwielichtigen Spekulanten der Depressionsjahre. [17]
Wie übel einer anderen Hauptfigur mitgespielt wird, einem Stahlproduzenten, wurde wohl größtenteils einer Episode des 1935 erschienenen Comicstrips
Little Orphan Annie
entnommen. [18]
Und natürlich gibt es einen aufrechten Gangster, den wir wie »Pretty Boy Floyd« in Woodie Guthries Lied von 1939 bewundern sollen, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Er beraubt die Regierung, um die Bankkonten der edlen Reichen zu füllen.
Nicht nur Ort der Handlung und Figuren erinnern an die Weltwirtschaftskrise; auch thematisch und philosophisch ist es ein Roman der Dreißigerjahre.
Atlas wirft die Welt ab
mag das Lieblingsbuch der Millionäre sein, aber es ist in gewissem Sinn auch das kommerziell erfolgreichste Beispiel jener Arbeiterliteratur, wie sie in den Dreißigerjahren en vogue war. Wenn diese literarische Schule überhaupt im Gedächtnis geblieben ist, dann wegen ihrer stereotypen blutsaugerischen Geschäftsleute, der abgedroschenen Handlung, in der immer ein heldenhafter Arbeiter Klassenbewusstsein entwickelt, und dem unweigerlichen Streik als Höhepunkt der Handlung. Das Genre war Propaganda von der humorfreien Sorte, die sich hauptsächlich durch schwerfälligen Stil auszeichnet, künstlerisch kaum über dem Niveau von Comicheftchen. Und es war das Musterbeispiel von Literatur für schlechte Zeiten.
Atlas wirft die Welt ab
verdient es, diesem Genre zugeordnet zu werden. [19]
Es enthält viel humorfreie, dafür plumpe Propaganda; die Dialoge wachsen sich oft zu mehrseitigen ermüdenden philosophischen Ergüssen aus. Vom Äußeren der Figuren kann man meist umstandslos auf ihr Innenleben schließen: Schurken sind in der Regel bereits bei ihrem ersten Auftritt von Grund auf böse, während die Guten vor Edelmut nur so triefen; sie haben einen erlesenen Geschmack, drücken sich gewählt aus, sind handwerklich geschickt, gute Schützen und sogar ihre Namen klingen mit ihren Konsonantenanhäufungen besonders schneidig. [20]
Und wundersamerweise scheinen sie alle in der Lage zu sein, ein Flugzeug zu steuern.
Es ist natürlich ein Roman über einen Streik, ein gängiges Sujet in den Zeiten der Volksfront. Wie es das Genre erfordert, sind die Protagonisten edle Produzenten, die unfair unterdrückt werden. Aber in dieser Variante des Arbeiterromans ist der eigennützige Geschäftsmann der Held und nicht der Bösewicht. Wir Übrigen sind die Blutsauger, der Pöbel und die Intellektuellen, die mit Unterstützung der Regierung von der harten Arbeit der rechtschaffenen Kapitalisten schnorren und schmarotzen.
In Rands dystopischer
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