Armee der Toten
Jugendliche waren sie hin und wieder dort, obwohl es verboten war. Er hat gesagt, dass das Gelände riesig und verdammt unübersichtlich ist. Da gibt es mit Wasser gefüllte sehr tiefe Gruben, aber auch Höhlen und kleine, enge Schluchten. Er sprach von einem Labyrinth.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Sie beugte sich vor. »Und es ist nichts zugeschüttet worden. Man hat alles so gelassen.«
»Existieren Absperrungen? Hat man Tore aufgestellt? Wird das Gelände bewacht?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie leise. »Es ist auch nicht mehr interessant. Selbst die Jugendlichen haben andere Interessen. Die sind heute mobil und fahren oft bis nach Moskau, um sich zu vergnügen. Wenn Sie die Menschen fragen, die hier wohnen, werden Sie hören, dass sie froh darüber sind, dass es den Steinbruch nicht mehr gibt. Er hat auch viel Ärger gebracht, wie ich hörte. In den heißen, oft windstillen Sommern flog der Staub wie eine riesige Wolke heran und legte sich auf alles nieder. Das war nicht eben gesundheitsfördernd.«
»Haben Menschen aus dem Ort dort gearbeitet?«
»Nicht, dass ich wüsste. Diese Firma hat’ ihre Arbeiter selbst mitgebracht. Sie wohnten in Containern am Steinbruch oder in anderen Hütten. So genau weiß ich das nicht.«
Karina nickte mir zu. »Das ist es dann wohl gewesen«, erklärte sie uns. »Ich denke, wir sollten fahren. Sich im Hellen umzusehen, ist gar nicht schlecht.«
Ich dachte daran, dass man uns im Hellen auch sah. Bei diesem Gelände konnte man sich nicht heranschleichen. Das gab ich zu bedenken.
»Willst du bis zur Dunkelheit warten, John?«
»Nein, das auch nicht. Wir müssen uns nur entsprechend vorsichtig verhalten.«
»Machen wir das nicht immer?«
Zaghaft wurde gegen die Tür geklopft. Dann betrat der bleiche Knabe das Büro. Er nickte uns scheu zu und ging bis zu seiner Chefin. Er beugte sich zu ihr herab und sprach so leise mit ihr, dass wir kein Wort verstanden, nur ein zischelndes Wispern.
Das Gesicht der Bürgermeisterin hellte sich auf. Sie bedankte sich bei ihrem Adlatus, der wieder aus dem Raum schlich und leise die Tür hinter sich schloss.
»Meinem Mitarbeiter ist zu diesem Steinbruch noch etwas eingefallen, das ich auch nicht wusste. Es gibt Menschen hier in Tankow, unter anderem auch ihn, die haben in den Nächten hin und wieder einen roten Schein leuchten sehen.«
»Aus dem Steinbruch?«, fragte ich.
»Ja, oder über ihm.«
»Und weiter?«
Svetlana hob die Schultern. »Nichts weiter. Es hat sich niemand hingetraut. Manche sprachen von einem UFO, das dort hin und wieder landet. Aber wer glaubte das denn?«
»Das mit dem roten Schein stimmt aber?«, hakte Karina nach.
»Er würde es sogar beschwören.«
Karina blies den Atem aus und schaute mich an. »Da sollte man auch auf die Nacht gespannt sein.«
Ich lächelte. »Bin ich auch.«
Svetlana war anderer Ansicht. »Also mich würden keine zehn Pferde dorthin bekommen. Nicht um alles Geld der Welt. Nein, da hätte ich wirklich Angst.«
»Sie brauchen auch nicht hin«, sagte ich.
»Und Sie haben keine Angst?«, fragte sie mit einer Stimme, als könnte sie unseren Entschluss noch immer nicht glauben.
»Doch, wir haben Angst«, sagte ich.
»Dann bleiben Sie besser hier.«
»Ohne Angst gibt es keinen Mut«, erklärte Karina. »Und der gehört auch dazu.«
Svetlana nickte. »Stimmt. Da haben Sie das Richtige gesagt. Nur frage ich mich, wer sich in diesem Steinbruch versteckt hält. Glauben Sie, dass es normale Menschen sind?«
»Wir werden es herausfinden«, erklärte Karina Grischin und lächelte der Bürgermeisterin zum Abschied zu...
***
»Welches Gefühl hast du?«, fragte mich Karina, als wir in den Wagen gestiegen waren.
»Wahrscheinlich das gleiche wie du.«
»Also kein gutes.«
»Kann man so sagen.«
Sie nickte in Richtung Lenkrad. »Das wird ein Stress, John, ich verspreche es dir. Und ich frage mich, wie viele Feinde uns dort wohl erwarten.«
»Daran denke ich noch nicht.«
Mich traf ein erstaunter Blick. »Sondern?«
»Mehr an die Typen, die geschossen haben. Es sind keine Dämonen oder was weiß ich, sondern Gangster. Eiskalte Killer, die auf alles schießen, was sich ihnen in den Weg stellt. Dafür gibt es meines Erachtens nur eine Erklärung.«
»Die Russen-Mafia«, sagte Karina seufzend.
»Kennst du eine bessere Lösung?«
»Im Moment nicht«, gab sie nach einem Moment des Nachdenkens zu. »Ich frage mich allerdings, wie man beides zusammenbekommt. Auf der einen Seite die Killer,
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