Armegeddon Rock
schwachen Schmerz in der Schulter, ein anderer, höher, biß in seinen Hals. Betäubung breitete sich von da aus, wo die Pfeile eingedrungen waren. »Gute Nacht, süßer Prinz«, sagte sie leicht. Dann beugte sie sich vor und gab ihm einen raschen, sanften Kuß, als die Welt die Farben des Kaleidoskops durchlief und seine Beine zu weichem Wachs unter ihm wurden.
26
But my dreams they aren’t as empty /
As my conscience seems to be
NACHT. Die Kopfsteinpflasterstraße ist glatt und naß. Er wandert dahin, endlos, rastlos, ohne Ziel. Wallender, grauer Nebel liegt dicht auf der Straße. Es gibt keinen Verkehr, kein Geräusch. Selbst seine Stiefel geben auf den Pflastersteinen keinen Laut, wie sie es tun sollten. Auf beiden Seiten erblickt er flüchtig das aufblitzende Licht von Neonreklamen, die ihn rufen, aber der Nebel überdeckt sie, so daß er die Schrift nicht lesen kann. Er weiß nicht, wie lange er schon auf dieser langen, geraden, dunklen Straße unterwegs ist, aber er ist müde. Trotzdem läuft er weiter. Die Feuchtigkeit läßt ihn bis in die Knochen frösteln, und er stellt seinen Mantelkragen hoch, aber es hilft nicht.
Jemand läuft neben ihm her, mit Schritten so leise wie seinen. Er schaut hinüber. Durch den Nebel nimmt er die Gestalt undeutlich wahr. Es ist eine junge Frau. Sie trägt einen kurzen Rock und ein rückenfreies T-Shirt. Lange, sonnengebräunte Beine werden plötzlich sichtbar, als sie sich seinen Schritten anpaßt. Die Kälte scheint sie nicht zu stören. Sie ist sehr attraktiv, denkt er, obwohl er sie nicht deutlich sehen kann. Ihr langes, glattes Haar fällt ihr bis zum Kreuz herab. Sie hat eine Blume hinter dem Ohr stecken, eine Rose, deren leuchtendes Rot in dieser feuchten grauen Welt wie ein Schock ist. Sie laufen eine Weile nebeneinander her, und schließlich fragt er sie, wo sie hingehen.
»Nach San Francisco«, erklärt sie ihm. Ihre Stimme ist Freude und Musik und Unschuld. »Warum hast du keine Blume in deinem Haar?« Jetzt erkennt er die Stimme. Es ist Maggies Stimme, Maggie, wie sie vor langer Zeit geklungen hat. »We’re going back to the things we learned so well in our youth«, erklärt sie ihm, »to the days when we were young enough to know the truth.« Es ist Sharons Stimme, schläfrig vom Miteinanderschlafen, voll von Zuneigung und der Verspieltheit neugeborener Liebe. »Come on the rising wind«, drängt sie, »we’re goin’ up around the bend.« Es ist Donna, die mit ihm spricht, großäugig und ernst; es ist Alicias sanfte Schüchternheit, Beckys trockener Witz, mit dem sie sich selbst herabsetzt, es ist Barbara, in die er in der Junior High School verknallt war, die er aber nie um eine Verabredung zu bitten gewagt hat. Es ist Ananda, die neben ihm herläuft, jung und lächelnd und vital, und vor ihnen liegt der Sommer der Liebe, wo der Himmel tiefblau ist und die Sonne immer scheint und das Dope gut ist und die Mädchen Blumen in ihren langen blonden Haaren tragen.
»Ah, my friend, you’re older but no wiser«, sagt eine andere Stimme. »For in your heart the dreams are still the same.« Froggy läuft jetzt auf der anderen Seite neben ihm, er grinst und trägt eine knallrote Smokingjacke, eine Weste und eine Fliege. Sein Gesicht ist grün angemalt, und seine Zähne sind gelb. »Sander, mein Junge, das ist nicht das green, green grass of home, was da vorn auf dich wartet, und deine Verabredung ist nicht nur das häßlichste Weibsbild, das mir je unter die Augen oder, was das betrifft, sonstwo drunter gekommen ist, sondern ich sehe nichts in ihren Augen. Überhaupt nichts.«
Er versteht nicht. Die Frau ist schön, war schön, war immer schön. Er schaut wieder zu ihr hinüber. Aber jetzt ist das Rot, das durch den Nebel sticht, keine Rose, sondern eine weit offene Wunde, in der immer noch frisches Blut pulsiert. Es ist ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Junge, der neben ihm hergeht, und seine Schläfe ist von einem Gummiknüppel aufgeplatzt. Es ist Bobby Kennedy, mit leeren Augen und gebrochen. Es ist ein schlankes schwarzes Mädchen, das bei Unruhen getötet worden ist. Es ist Martin Luther King, und sein Traum liegt in Scherben. Es ist ein schlurfendes Wrack von einem Mann in Uniform, sein Gesicht von einem Granatwerfer halb weggeblasen, dessen Gedärme aus einem klaffenden roten Loch in seinem Bauch quellen. Er hält sie mit den Händen drin und läuft blindlings weiter in die nebelverhüllte Ferne. Andere, nur undeutlich sichtbar,
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