Armegeddon Rock
schweigend und mit gesenktem Kopf einen langen Augenblick auf die Teller. Sandy schloß sich an und nahm die Hand von Bambi zu seiner Rechten und von einem schlanken, spitzbärtigen Mann namens Mitch zu seiner Linken. Er war so verlegen und kam sich so fehl am Platz vor wie jedesmal beim Weihnachtsessen mit Sharons Eltern, wenn ihr Vater aufstand und ein endloses Tischgebet über dem Truthahn sprach.
Bei diesem Essen gab es selbstverständlich keinen Truthahn. Es war streng vegetarisch; brauner Reis und riesige Platten mit frischem Gemüse, einiges davon gewürzt und mit Curry, mit einer dicken, leckeren hausgemachten Soße und heißem, frischgebackenem Brot. Sie spülten alles mit eisgekühlten Kräutertees und Gläsern roher Milch hinunter. Es schmeckte ganz vorzüglich, und die Goldenen Visionäre um den Tisch herum waren freundlich. Die Köchin, eine hochgewachsene, breitschultrige Frau namens Lisa mit dem Säugling auf dem Rücken, erklärte ihm stolz, in dem Essen, das er eben gelobt habe, seien »überhaupt keine Konservierungsmittel oder was Chemisches«.
Sandy war mit einer Gabel voller Reis auf halbem Weg zu seinem Mund, aber er hielt inne und starrte Lisa an. »Nichts Chemisches? Überhaupt nichts Chemisches?«
»Gar nichts«, sagte Lisa.
»Das sollte ich aufschreiben«, sagte Sandy. »Essen aus reiner Energie. Also, das könnte das Hungerproblem der Welt lösen.«
Bambi schüttelte den Kopf, Lisa verzog sich ein bißchen beleidigt in die Küche, und etliche von den anderen sahen ihn eigenartig an. Danach war das Tischgespräch ein bißchen verkrampfter.
Sandy versuchte, die Stichelei wieder gutzumachen, indem er sich anbot, nach dem Essen beim Abwasch zu helfen. Sie nahmen ihn beim Wort, und so arbeitete er zu guter Letzt in der Küche zusammen mit Fern. Sie kratzten alles Übriggebliebene auf ihren Komposthaufen hinter dem Haus und wuschen dann das Geschirr mit ihrer eigenen selbstgemachten Seife. Sandy wusch ab, und Fern trocknete ab, und er bekam sofort heraus, daß die Seife eindeutig weniger mild war als Palmolive, aber diesmal hielt er klugerweise den Mund und ließ Fern freundlich über Literatur schwatzen. Sie stand total auf In einem anderen Land.
Als er aus der Küche kam, saßen noch vier der Erwachsenen um den Tisch und unterhielten sich. Er schlenderte hinüber, um sich dazuzugesellen, aber einer von ihnen, der massige Schwarze mit dem Bart, der bei Sandys Ankunft kurz mit ihm gesprochen hatte, stand auf und fing ihn ab. »He, Mann«, sagte er und klopfte Sandy mit einer großen, rauhen Hand auf die Schulter, »laß uns einen kleinen Spaziergang machen, okay?«
»Klar«, sagte Sandy unsicher. Der Schwarze führte ihn nach draußen. Die Sonne war kurz zuvor untergegangen, und eine kühle, lang anhaltende Abenddämmerung legte sich über die Berge. Es war sehr still und ruhig. Er konnte die Kinder irgendwo unten an der Straße spielen hören; sie rannten und schrien, weit weg und schwach.
»Ich heiße Ray«, sagte der Schwarze. Er ging langsam, die Hände in die Taschen geschoben. »Kapiert?«
»Äh, klar«, antwortete Sandy.
Sie schlurften über den Hof. Ray blieb dicht bei dem alten Jeep stehen, lehnte sich dagegen und kreuzte die Arme. »Bambi sagt, du willst mit jemand sprechen, der vielleicht ein paar Connections zum Untergrund hat.«
»Ja.« Sandy musterte Ray sorgfältig. »Du?«
»Ich sag nicht ja, und ich sag nicht nein. Bambi sagt, daß man dir trauen kann, aber ich kenne dich nicht, also muß ich vorsichtig sein. Wie ich schon gesagt hab, der Name ist Ray. Aber vielleicht war das nicht immer mein Name. Das ist ein hübscher Platz. Mir gefällt’s hier. Ich mag die Leute. Mir würde es absolut nicht gefallen, wenn irgendwas passiert und ich vielleicht hier weg müßte. Verstehst du?«
Sandy nickte. »Mit welcher Gruppe hast du Verbindung?«
»Ich? Mit keiner. Wie ich gesagt hab, ich bin bloß Ray. Ray ist sauber, keine Akte, nichts. Niemand will was von Ray. Aber sagen wir einfach, ich hab einen ganz alten Freund, der in rund sechs Staaten gesucht wird und der eine Zeitlang echt ’n heißes Thema war. Die Bullen waren ziemlich wild auf den Burschen. Und er war so ungefähr bei jeder Gruppe, deren Name dir nur in den Sinn kommen könnte, solange sie was machten. Der Bursche hielt nicht viel vom Reden. Er wollte Action. Kapiert? War ’n echt verrückter Kerl.«
»Na schön«, sagte Sandy. »Weißt du über den Mord an Lynch Bescheid?«
Dunkle Furchen zerknitterten
Weitere Kostenlose Bücher