Arminius
meinen Bruder erschlagen und ihn um seine Beute betrogen?«
»Hatte ich nicht befohlen, die Frauen und Kinder zu verschonen? Hat er sich meinem Befehl widersetzt oder nicht?«
»Kämpfen wir etwa dafür, dass jetzt du statt der Römer uns Befehle erteilst?«
»War ich in der Schlacht dein Gefolgsherr?«
»Ja.«
»War ich in der Schlacht auch der Gefolgsherr deines Bruders?«
»Ja.«
»Dann hatte Arminius das Recht dazu«, entschied Gana. »Und wenn dein Bruder Radgart dem zuwidergehandelt hat, dann ist er zu Recht gestorben, auch wenn wir alle seinen Tod bedauern.«
Die Fürsten nickten zustimmend, und Grendel verließ wütend das Thing. Nachdenklich sah ihn Arminius nach, doch dann riss ihn der Jubel der anderen Gefolgsherren aus seinen Gedanken.
Währenddessen war auch die Nachricht des Sieges im Rugierland eingetroffen. Keine Stunde länger hielt es Elda bei ihren Gastgebern. Mit Lenia und Ansar brach sie zum Hof ihres Mannes auf, der nun auch der ihrige werden sollte. Die Flüchtlinge hatten den Hof größer und schöner als je zuvor wieder aufgebaut und mit einer Wehrmauer umgeben. Wenige Stunden vor Arminius traf sie in ihrem neuen Zuhause ein und schaute sich seitdem fast die Augen wund, denn sie konnte das Wiedersehen nach überstandener Schlacht kaum erwarten. Jetzt endlich konnte ihr Familienleben beginnen, ohne Krieg und Verschwörung, so hoffte sie innig, als sie die kleine Burg in Besitz nahm.
Vom Thing, das ihn zum Kriegskönig der Germanen gewählt hatte, zu dem Mann also, der in Zeiten des Kampfes zu befehlen hatte, ritt er ungeachtet seiner Erschöpfung zum Gehöft seiner Eltern. Nur eine, dafür schwerwiegende Niederlage hatte er in der Ratsversammlung hinnehmen müssen. Da sich Segestes reumütig gezeigt hatte, verbot das Thing Arminius, seinen Schwiegervater zu bestrafen. Insgeheim befürchteten die anderen Gefolgsherren, dass Arminius, wenn er sich an einem Fürsten vergreifen durfte, nichts daran hindern würde, es eines Tages auch bei anderen zu wagen. Nur notgedrungen hatten sie die Tötung Radgarts für Recht erklärt. Es war diese Angst und vor allem das nagende Unbehagen angesichts der Macht, die einem einzelnen Fürsten, nämlich Arminius, zuwuchs, die Segestes schützte.
Von Weitem schon sah er den Wall und die darüber hinausragenden Häuser inmitten der Stoppeläcker und des in herbstlichen Farben leuchtenden Waldes stehen. Ob Elda schon da war? Die Sehnsucht nach seiner Familie trieb ihn vorwärts.
Aber mit ihm, das wusste er leider nur zu gut, würden nicht nur Jubel, sondern auch Sorgen und Trauer einziehen, denn die Söhne, Brüder und Ehemänner der Menschen, die hier lebten, folgten ihm etwas langsamer nach, auf dem Pferd sitzend oder als Verletzte oder Gefallene auf der Bahre liegend, die ein Ross hinter sich herzog. Der ewige Zug der geschlagenen Schlachten, der aus Überlebenden und Toten bestand. Doch verwundet waren sie alle, die mit dem Leben davonkamen – manche am Leib, alle aber an der Seele. Die Schlacht entließ keinen Mann so, wie er vorher gewesen war. Doch wer wollte es dem heimkehrenden König verdenken, dass er in diesem Augenblick einzig und allein getrieben wurde von der Freude, Frau und Kind endlich in seine Arme schließen zu dürfen?
Die mächtigen Tore öffneten sich weit wie zwei Arme, die ihn willkommen hießen. Arminius trieb sein Pferd an. Mitten auf dem Hof riss er am Zügel und sprang vom Rücken des laut wiehernden Rosses ab. Dann sah er sie, seine wunderschöne Frau mit dem Kind auf dem Arm, seiner Tochter, dem Anfang und dem Ende der Welt. Frauen und Kinder, Greise und Greisinnen umringten sie nun. Er blickte sich um, sah in ihre Gesichter, die Hoffnung, dass ihre Söhne, Männer und Väter auch bald zurückkehrten und sie alle die Freude der Heimkehr nicht nur miterleben, sondern am eigenen Leibe auch erfahren durften. Und in dem kurzen Moment, bevor er seine Frau küssen und seine kleine Tochter auf den Arm nehmen würde, wusste er, dass die Schuld am Tod der Gefallenen, die er auf sich geladen hatte, niemals vergehen würde. Doch dann spürte er die weichen Lippen seiner Frau, sah nach dem Kuss in die großen Augen seiner Tochter, und ihr Blick leuchtete ihm ins Herz und stimmte ihn mild und friedlich.
Ansar trat zu ihm und fragte nach Heban. Arminius wich seinem Blick kurz aus, dann erzählte er ihm, dass der junge Semnone als Held gestorben war.
Und wie er es bereits geahnt hatte, sah der Abend Feiernde, einige verhalten, weil
Weitere Kostenlose Bücher