Arminius
Insignien der Trauer zu Recht! Uns Römer zeichnet aber aus, dass uns die Gewalt der Trauer nicht zu Weibern macht, sondern unser Standfestigkeit nur noch Kraft hinzufügt! Dankt Drusus deshalb seine Zuneigung, die er so oft für euch unter Beweis gestellt hat, stets mit Disziplin und Kühnheit! Ich verschweige es nicht, die Forderung, die an euch gestellt wird, ist hoch, nichts für Memmen! Seid eures toten Feldherrn würdig! Bewacht treu das Land, das er mit euch erobert hat. Unser römisches Germanien!«
Tiberius machte eine Pause. Wie aus einer Kehle riefen die Legionäre entschlossen: »So sei es!«
Dann fuhr der Imperator leiser fort: »Und jetzt nehmt Abschied! Wir bringen den Feldherrn nach Hause, dorthin, wo wir uns eines Tages alle wiedersehen werden. Aber vergesst nicht, seine Manen werden euch von jetzt ab begleiten. Seine Totengeister sind bei euch, bei seinen Kindern! Denn ihr, Legionäre, seid seine Kinder! Im Leben und im Sterben … ewig!«
Der Imperator hatte kaum ausgesprochen, da kommandierten die Anführer ihre Verbände. Die Soldaten zogen an der Bahre vorbei und erwiesen Drusus die letzte Ehre.
Für einen Augenblick vergaß Ergimer seine ganze Verzweiflung, seinen Trennungsschmerz und das Heimweh, und er verfolgte den Abschied der Legionäre von ihrem Befehlshaber mit offenem Mund. Die Römer schienen anders zu trauern als die Cherusker. Der Junge fragte sich, ob er überhaupt Menschen oder nur Dämonen ohne Zahl in Reih und Glied vor sich sah.
Nachdem das Heer abmarschiert war, übernahmen römische Bürger, die links des Rhenus siedelten, feierlich die Bahre mit dem Leichnam und trugen sie auf eines der fünf Schiffe. Die Familie des Feldherrn, die Reiterhundertschaft des Tiberius, zuletzt auch die Geiseln verteilten sich auf weitere Boote.
Als die kleine Flotte ablegte, empfand Ergimer den Verlust der Heimat in aller Deutlichkeit. Lange noch blickte er zum Ufer zurück, während sein Gefährt stetig flussaufwärts strebte. Er konnte sich indes nicht vorstellen, dass auch anderswo Kühe weideten, Emmer und Gerste wuchsen und Menschen lebten. Ihm war, als fiele er vollständig aus der Welt. Das Leben zu Hause würde weitergehen, aber ohne ihn. Ohne ihn würden sie die Feste feiern, das Fest der Aussaat und das Opferfest der Ernte, der Sonnenwende und der Dunkelnacht, die Feier der Ahnen und die Opfer für Tyr und für Wotan darbringen, so als hätte er nie unter ihnen gelebt, und allmählich würden sie ihn wohl auch vergessen. Auch Elda? Ja, auch Elda. Alle! Instinktiv griff er zu dem Amulett, das sie ihm zum Abschied geschenkt hatte, fuhr zärtlich über den kühlenden Mondstein und schloss die Finger um das Bronzeblech.
Bevor die Einsamkeit ihn ganz zu verschlingen drohte, schrien die Graureiher, die sich in die Lüfte erhoben hatten, frech und durchdringend wie zur Aufmunterung, lenkten seine Aufmerksamkeit auf sich und beruhigten ihn wunderbarerweise auch. Diese großen Vögel versprachen, ihn zu begleiten. Vielleicht, so hoffte er inständig, waren es ja in Wirklichkeit keine Graureiher, die über ihn hinwegflogen, sondern die Geister seiner Ahnen, die die Gestalt dieser schönen, in Silbergrau gewandeten Tiere angenommen hatten. Die Gewissheit, dass ihm seine Vorfahren auch in fernen Ländern beistünden, durchzuckte den Knaben wie ein Blitz.
Selbst als die Stelle, an der sie an Bord gegangen waren, seinen Blicken längst entschwunden war, starrte er immer noch in diese Richtung, als könne er mit den Augen festhalten, was ihm unerbittlich Meile für Meile entrissen wurde. Was nun folgte, war Fremde. Unbekanntes Land. Das Reich der fremden Ahnen.
9
Der Keil der Graureiher begleitete treu die kleine Flotte den Rhenus hinauf in Richtung des Sonnenaufgangs. Zufall oder Absicht, für Ergimer bedeutete es Schicksal, dass man bei der Aufteilung der germanischen Vertragsgeiseln den cheruskischen Kindern und dem Chatten den Bug des Schiffes zugewiesen hatte, auf dem auch Antonia, Julius und Tiberius reisten. Einzig das Schiff des Toten blieb ohne Passagiere, mit Ausnahme der Ehrenwache der römischen Bürger.
Zum ersten Mal in seinem jungen Leben war Ergimer auf einem so großen Strom unterwegs. Voller Staunen hatte der Knabe die Hügelketten an beiden Ufern des Rhenus betrachtet, die zuweilen auch als schroffe Felsen bis in den Fluss ragten. Hin und wieder war sein Blick auf eine Siedlung am Ufer gefallen, manchmal auch auf eine römische Villa, die er inzwischen an den vielen
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