Arminius
Wiese um die Wette gelaufen war, huschte wieder ein Lächeln über sein Gesicht und breitete sich Gelassenheit, ja so etwas wie eine Entspannung in ihm aus. Sein Herz begann wieder zu atmen, all die Wahrnehmungen mit der ihm eigenen Großzügigkeit einzusaugen, um aus ihnen die Empfindungen, den Stoff des Lebens, zu brauen.
Voller Vertrauen in sein Schicksal blickte Ergimer abermals in den Sternenhimmel, als ihn jäh ein brennender Schmerz am Hinterkopf traf. Er fuhr herum und fühlte diesmal die Qual mit flinken Feuerfüßen quer über sein Gesicht laufen. Erst allmählich, als bereits der dritte Hieb auf ihn niederfuhr, nahm er wahr, dass ihm der Sohn des toten Feldherrn gegenüberstand und ihn mit einer Lederpeitsche, in die Eisenkügelchen geflochten waren, traktierte. Die Stimme des gleichaltrigen Römers überschlug sich im heiseren Knabendiskant der Wut. Obwohl Ergimer die fremden Wortfetzen nicht verstand, zweifelte er nicht daran, dass sie die schlimmsten Beleidigungen enthielten, die dem anderen zur Verfügung standen. Die Striemen loderten unvermindert auf seiner Haut, peinigten aber nicht weniger seinen Stolz.
Was war entehrender für einen freien Cherusker, als ausgepeitscht zu werden? Mit einem freien Mann kämpft man höchstens, aber man gibt ihm nicht die Knute zu kosten. So war es Sitte. Verschleppt und obendrein noch von diesem Fremdling, der in seiner Heimat nichts verloren hatte, erniedrigt zu werden öffnete alle Türen des Zorns in dem kleinen Cherusker, die er mithilfe seines Bruders, der in den letzten Stunden geduldig auf ihn eingeredet hatte, gerade so sorgsam verschlossen hatte. Wie hatte Germir ihn ermahnt: »Lass uns von den römischen Hunden lernen, auf dass wir sie eines Tages besiegen können.«
Doch die Schmach war zu groß. Nichts hielt Ergimer noch zurück, weder Angst noch Klugheit. Mochten die Römer anschließend mit ihm anstellen, was sie wollten. Ein Später gab es in seinen Gedanken nicht mehr, nur noch die wachsende Schmach, die alle Vernunft versengte. Mit hochrotem Kopf sprang er mit beiden Füßen ab und warf sich auf den gleichaltrigen Feind, der das Gleichgewicht verlor, und schlug ihm noch im gemeinsamen Sturz das erste Mal ins Gesicht. Der junge Römer spuckte Blut, kaum dass er auf die Schiffsplanken gekracht war. Aber er war weder feige noch unerfahren in Balgereien und prügelte mit aller Kunst, zu der er fähig war, zurück. Es war der Schmerz des ungeheuren Verlustes, die Ohnmacht in den Kindern, die sich in ihren Muskeln entlud.
Sie hieben verzweifelt aufeinander ein und bissen sich in einem fort. Blut drang aus tausend kleinen und größeren Wunden. Bald schon standen sie wieder auf den Beinen, um erneut aufeinander loszugehen. In dem Moment, als Tiberius und Antonia von den Wachen gerufen herbeieilten, gingen die beiden Jungen auch schon fest ineinander verkeilt über Bord. Mit einem trockenen Geräusch und hochfliegenden Spritzern schlugen sie auf der Wasseroberfläche auf.
Das kalte Wasser der Mosella kühlte mitnichten ihre ungeheure Wut. Es war eine heilige Wut, die in ihnen kochte, eine männliche Wut, viel zu früh für Knaben, sie durchleben zu müssen. Was hatten die Götter sich nur dabei gedacht, dieses stärkste aller Rauschmittel unreifen Jungen zu verabreichen?
Schnell ging das Knäuel der beiden kämpfenden Burschen unter. Ergimer spürte das kühle Nass nicht, das ihm in Kleidung, Mund, Augen, Nase und Ohren drang. Er konnte von dem verhassten Feind nicht ablassen, dem es ähnlich zu ergehen schien. Doch die Schläge der beiden wurden, obwohl nicht weniger kräftig ausgeführt, immer schwächer und fühlten sich nur noch gedämpft an, als seien ihre Knabenfäuste plötzlich mit Stoff und Stroh umwickelt.
Die Zeit dehnte sich aus wie eine Schweineblase, die man aufblies. Unter der Wasseroberfläche hüllte sie eine grauschwarze Wolke von Sand, abgestorbenen Pflanzen und Millionen kleiner und kleinster Tiere ein, bevor es plötzlich immer heller wurde und Ergimer schon meinte, durch den Fluss in den Sternenhimmel zu fallen. Wie aus großer Ferne verspürte er einen Griff an seinem Hals, der ihn rücksichtslos nach oben riss. Wie schade, dachte er, wo er gerade so schön unterging und sanft träumte. Schade, die Sterne warteten doch schon auf ihn.
Dann erbrach er sich. Aber aus seinem Bauch, aus seinem Munde presste er nur Wasser, immer wieder Wasser, was ihm seltsam schmerzhaft vorkam. Er krümmte sich und glaubte schon, einen kleinen
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