Arminius
Säulen, auf denen sich mutwillig das Dach ausstreckte, erkannte. Fremd und unwirklich standen diese Gebäude in der Landschaft. Im Wasser machte er gelegentlich eine Schleie oder einen Weißfisch aus. Heimweh und Neugier wechselten in ihm in einer raschen, für den Knaben unverständlichen Abfolge von Stimmungen.
Schließlich veränderte sich das Land, es wurde lieblicher. Vor Ergimers Augen erstanden große Säulenhallen, die um einen rechteckigen Platz angeordnet waren. Ergimer erfuhr von dem Chatten, dass man diese Ansammlung vieler Häuser urbs, Stadt, nannte, dass es davon viele gab und dass sie alle wie Menschen einen eigenen Namen besaßen, um sie zu unterscheiden.
Die Stadt, die er nun am rechten Ufer sah, hieß beispielsweise Apud Confluentes, was ihm der Chatte mit ›Am Zusammenfluss‹ übersetzte. Ihre Bürger waren aus Ehrerbietung vor dem toten Feldherrn am Ufer niedergekniet. Kunstvoll hatten sie viele Ellen weißen Stoffes um ihre Leiber geschlungen und über die rechte Schulter geworfen, dabei aber den Arm freigelassen, während der linke von dem eleganten Umhang, der den Namen toga trug, bedeckt blieb.
Bald darauf schien es Ergimer, als beführen sie einen anderen Fluss. Der Chatte erkundigte sich für seinen kleinen Gefangenen. Der hatte sich nicht getäuscht.
»Wir haben den Rhenus verlassen und fahren auf einem Gewässer, das die Römer Mosella nennen«, erklärte ihm der Übersetzer. Breitgezogene Flachbauten mit vielen Nebengebäuden, die von Säulengängen umgeben waren, hatten sich auf Bergspornen postiert oder wie eine große Spinne in die Landschaft geschmiegt. Grün wie Smaragde leuchteten die Reben von den Hängen herab. Ergimer kannte Brombeeren und Himbeeren, hatte diese Früchte aber nie zuvor gekostet. Aber als sie ihnen nun serviert wurden, aß er sie voller Genuss. Die Römer machten zwischen ihrem Essen und den Mahlzeiten der Kinder keinen Unterschied, mit einer Ausnahme: Die Knaben bekamen Wasser, keinen Wein zu trinken.
Wenn Ergimer in den Fluss schaute und seinen Gedanken nachhing, was er gern tat, entdeckte er manchmal einen Stör oder einen Wels, häufiger aber einen Lachs. Zu Hause wirkten die Flüsse dunkler, kälter, moosiger und waren auch nicht so fischreich. Noch nie war er einem so hellen, einem so freundlichen Gewässer begegnet wie dieser Mosella, einem Strom, der nur aus Leben zu bestehen schien.
Ergimer gewöhnte sich an den Anblick der Städte, an die Tempel, an die Wohnhäuser, an die Thermen und an die Foren. Die Blätter der Bäume und Sträucher schwelgten mittlerweile in herbstlich-bunten Farben. Doch die friedliche Heiterkeit der Landschaft bedrückte ihn, ihre Freundlichkeit schien ihn zu verhöhnen, als mache sie sich über seine erdigere Heimat lustig.
Bei Einbruch der Dämmerung gingen die Schiffe wie immer auf dem Fluss vor Anker. So ersparte man sich die Errichtung eines Lagers. Es dunkelte bereits, als Ergimer an der Reling stand und in den Sternenhimmel sah. Würden die Sterne in der Fremde andere sein als die in der Heimat? Noch konnte er keine Anzeichen dafür entdecken. Oder blieben die Nachtlichter ihm treu wie die Graureiher? Auf einmal hatte er das Gefühl, dass nicht das Säuseln, Schmatzen und Gurgeln des Flusses an sein Ohr brandete, sondern dass wunderbarerweise Nehalenia zu ihm sprach. Angestrengt spitzte er die Ohren, um sich keines ihrer Worte entgehen zu lassen. Es kostete ihn viel Mühe, und schon schien es ihm, als sei das Hörorgan ein Muskel, den er gerade überanstrengt hatte und der deshalb wehtat, dann gelang es ihm schließlich doch, Nehalenias Botschaft zu verstehen: »Was macht es schon aus, wenn du als Welpe mit ihnen gehst, wenn du nur als mächtiger Wolf zurückkehrst!«
Das war es also, was die Seherin von ihm wollte, darin bestand also seine Aufgabe – als Krieger heimzukehren, als Wolf, der den Feinden dereinst die Kehle durchbeißen würde! Von einem Augenblick auf den anderen fühlte er sich nicht mehr allein. Die Gewissheit, dass die Magierin ihm beistand, machte ihn unverwundbar und verlieh der ganzen furchtbaren Wirklichkeit einen Sinn. Selbst den Verrat des Vaters begann Ergimer zaghaft in einem milderen Licht zu sehen, denn wenn der Weg nach Rom seine Bestimmung war, dann hatte der Vater nur im Einklang mit dem Schicksal gehandelt. Niemand, das hatte der Junge von klein auf gelernt, kann sich seinem Geschick entziehen, das die Nornen bemessen. Zum ersten Mal seit dem Morgen, an dem er mit Elda auf der
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