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Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Ergimer aus seinen Gedanken. Wie Wasser nach langem Regen von unten aus den Moorwiesen drückt, tauchten plötzlich von überall her Legionäre auf. Sie kamen aus allen Richtungen und nahmen stumm bei ihren Feldzeichen Aufstellung. Eine unwirkliche Geschäftigkeit verdrängte die magische Ruhe. Das Geschehen jagte dem Knaben zwar einen großen Schrecken ein, dennoch staunte er zugleich: So viele Soldaten, ja, so viele Menschen hatte er nie zuvor gesehen!
    »Wie viele mögen das wohl sein?«, entfuhr es ihm.
    »Mehr als wir Cherusker jemals in die Knie zwingen könnten«, sagte Germir.
    »Pah, Vater hat mit ein paar Gefolgsmännern eine Hundertschaft niedergemacht.«
    »Und am Ende doch Frieden geschlossen.«
    »Ja, mit uns als Unterpfand«, schluchzte Ergimer. Und jetzt liefen ihm doch Tränen über die Wangen, die er rasch wegwischte, denn die Römer sollten ihn nicht weinen sehen. Germir fuhr zärtlich durch das struppige Haar des Bruders. »Ist ja schon gut. Wir kommen zurück! Verlass dich drauf.«
    »Ja, wir kehren zurück! Und dann werden wir die Hunde verprügeln!«, schniefte Ergimer zornig.
    »Dann werden wir sie alle verprügeln«, lachte der Bruder ein wenig zu laut.
    Ergimer erkannte die Verzweiflung im Lachen des Bruders. Wütend stampfte er mit den Füssen auf. »Ich will nicht mit!«
    »Ich auch nicht. Aber was können wir denn tun?«
    Die Brüder schauten sich mutlos um. Vier Legionen, wohl an die zwanzigtausend Mann, hatten inzwischen in Marschformation auf der breiten Hauptstraße des Lagers Aufstellung genommen. Die beiden jungen Cherusker befanden sich inmitten eines gigantischen Gewimmels von Menschen, die wortlos und finster dreinblickten. Irgendetwas hatte diese Männer über Nacht verändert. Bei ihrer Ankunft im Legionslager am Abend zuvor war ihnen noch der Lärm der weinseligen Soldaten entgegengeschlagen. Wie von Geistermund befohlen verstummte er allerdings kurz nach Mitternacht mit einem Mal.
    Ergimer wandte sich an den Chatten, den man ihnen zur Verständigung zugeteilt hatte. »Die Männer wirken so unfroh.«
    »Wie sollten sie froh sein, wo ihr Feldherr gestorben ist? Sie begleiten den Toten und trauern. Der Feldherr ist für die Römer der Vater der Soldaten.«
    »Wie hieß der Mann?«
    »Nero Claudius Drusus.«
    Ergimer staunte. Noch nie hatte er einen so langen Namen gehört. Doch kam er nicht dazu, darüber nachzudenken, denn schon zogen sechs Männer seine Aufmerksamkeit auf sich, die den Leichnam des Imperators, der in Purpur gewandet und mit einem golden Panzer bekleidet war, auf einer großen, mit Eichenblättern und mit Gold verzierten Bahre trugen.
    Der Tote wirkte wie seine eigene Statue, hart und wächsern zugleich. Selbst aus dieser Entfernung erkannte Ergimer, dass den Leichnam die Lebensgeister verlassen, der Atem sich in die Welt verflüchtigt hatte, ins Tyrwal der Römer. Er kannte den Brauch der Lateiner noch nicht, bedeutende Tote einzubalsamieren, um den Körper vor der Verwesung zu schützen, wenn ein langer Weg zur Verbrennung des Verstorbenen bevorstand.
    Der Bahre folgte ein römischer Soldat, der vor sich in der Hand den mit einem großen bunten Busch versehenen Helm des Feldherrn trug. Tiberius schritt mit einer Frau und einem Jungen in Ergimers Alter hinterdrein. Nun senkten die Adlerträger aus Trauer und Ehrerbietung die Feldzeichen. Die Trommler ließen einen leisen, aber stetigen Wirbel erklingen, der aufstieg und die Nebelschwaden zerriss.
    Ergimer ahnte, dass die Mutter und der Knabe Ehefrau und Sohn des Toten waren. Er fühlte den Schmerz des Jungen, der seinen Vater verloren hatte, fast körperlich. Auch er hatte sich vor Kurzem von seinem Vater verabschieden müssen, nur mit dem Unterschied, dass Ergimer ihn eines Tages vielleicht wiedersehen würde. Mochte die Möglichkeit auch nicht gerade groß sein, dennoch bestand sie. Es hing von Wurt ab, vom Geschick, ob er Segimer einst wieder in die Arme schließen durfte.
    Aber wollte er das eigentlich? Hatte ihn sein Vater nicht verraten, einfach dem Feind überlassen, ohne den Versuch zu unternehmen, ihn zu befreien? Bitter stieß ihm die Tatenlosigkeit des Menschen auf, den er bis dahin aufrichtig bewundert hatte und der ihm der liebste auf der Welt gewesen war. Der wie Tyr alles vollbringen konnte. Bis zu der unseligen Stunde, als er seine Söhne mit den Römern ziehen ließ. In diesem Augenblick hatte den Knaben das Gefühl überfallen, dass der Boden wankte und unter ihm nachgab – der Sohn erkannte

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