Arminius
Blut nicht zu Männern werden.«
Nehalenia stand auf und ging hinüber zu Ansar. Liebevoll legte sie ihm die Hand auf die Schulter. Dann entfuhr es ihr so heftig, dass Elda erschrak, denn Nehalenias Zorn brachte die Erde zum Beben: »Was haben ihnen diese armen Kreaturen nur getan? Sie stehen unter Wotans Schutz. Wann werden sie das je begreifen?« Gleich darauf entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder, und sie lächelte. »Ansar hat dich schon einmal gerettet. Wer von einem Kind Wotans gerettet wird, ist etwas ganz Besonderes. Und du, Elda, bist etwas ganz Besonderes. Es ist sein Schicksal, dir beizustehen. Du wirst ihn mitnehmen. Er bleibt von jetzt ab bei dir. Denn wisse: Nicht um Antworten zu bekommen, haben dich die Götter hierher geführt, sondern damit du einen Gefährten findest.«
Elda machte große Augen, schaute wieder zu Ansar, dann schüttelt sie heftig den Kopf. Voller Abscheu erinnerte sie sich daran, wie ihr Vater das missgestaltete Neugeborene einer Magd bei den Füßen gepackt und auf den Dung geworfen hatte. »Mein Vater wird ihn wegjagen oder gar töten.«
Nehalenia lachte kurz auf. »Ich bringe dich nach Hause. Ich werde es ihm verbieten. Hat er ihn gestern Abend nicht erwischt, bekommt er ihn nie wieder. Die Jagd ist vorbei, jedenfalls für Ansar. Vertrau mir, dein Vater kann mir den Wunsch, dass Ansar von nun an dein Diener ist, nicht abschlagen.«
»Warum?«
Nehalenia lächelte fein und fragte: »Was wolltest du eigentlich von mir?« Noch bevor Elda antworten konnte, sprach die weise Frau weiter. »Ach ja, du willst wissen, ob dein Vater richtig handelt. Ob die Zukunft der Cherusker im Bündnis mit Rom liegt. Ich darf dir darauf keine Antwort geben. Aber du wirst deine Antwort selbst finden. Hab nur Geduld. Eines Tages wird die Antwort dir klar vor Augen stehen, und dann weißt du, was zu tun ist. Du wirst nicht zweifeln und nicht zögern, sondern tun, was getan werden muss. Die Götter haben dich dafür ausgewählt, mein Kind.«
14
Ein dumpfes Geräusch drang bis in die Tiefen seines Schlafes und beunruhigte Germanicus. Das Bellen eines heiseren Wolfes gleich darauf riss ihn endgültig aus dem Schlummer. Er öffnete die Lider, richtete sich im Bett auf und starrte mit großen Augen schlaftrunken in die Finsternis. Nicht einmal die Wand ihm gegenüber vermochte er zu erkennen, so dunkel war es in diesem Raum ohne Fenster, von dem nur ein türloser Ausgang zum Innenhof führte. Germanicus brauchte eine Weile, um sich daran zu erinnern, dass er das Zimmer im Hause seiner Großmutter Livia nicht allein bewohnte, sondern gemeinsam mit Arminius. Sein einjähriger Bruder und seine dreijährige Schwester befanden sich noch in der Obhut der Amme, wo sie auch während des Feldzuges verblieben waren, während Germanicus mit seiner Mutter den Vater ins Germanenland begleiten durfte. Allmählich begriff er, dass das Geräusch, das er als Gebell wahrgenommen hatte, in Wirklichkeit nur einen deftigen cheruskischen Fluch seines Mitbewohners darstellte.
Seit er und Arminius angefangen hatten, miteinander zu reden und bisweilen sogar zu scherzen, war in Germanicus so etwas wie Zutrauen zu dem fremden Jungen gewachsen. Doch als ihnen an diesem Abend das Zimmer zugewiesen wurde, begegnete ihm jener plötzlich seltsam verschlossen, ja geradezu feindselig. Es hatte den Barbaren nicht einmal interessiert, in welchem der beiden Betten er schlafen würde. Er zog sich vollkommen in sein Inneres zurück. Nachdem Germanicus seine Wahl getroffen hatte, warf Arminius sich nur wortlos auf das andere Bett, drehte sich zur Wand und schlief wortlos ein. Zunächst wunderte sich Germanicus über das schroffe Verhalten des anderen, schrieb es aber dann der Erschöpfung zu. Wie musste wohl jemandem wie Arminius hier in Rom zumute sein, der aus der öden germanischen Wildnis stammte, die er ja selbst erlebt hatte? Wie kam er zurecht mit dieser Flut unbekannter Eindrücke in der Hauptstadt des Römischen Reiches?
Langsam, aber unaufhaltsam drängte sich Germanicus der unangenehme Gedanke auf, dass Arminius, für den ihn Augustus verantwortlich gemacht hatte, im Begriff war, sich heimlich aus der Unterkunft zu schleichen. Es dauerte eine Weile, bis sich Germanicus’ Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Den Umriss der Tür erkannte er nur, weil das Mondlicht vom Innenhof aus noch in ihren Raum hereinfiel. Leise kroch er vom Bett und schlich barfuss über den steinernen Boden. Im Streulicht des bestirnten Himmels ließen
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