Arminius
bleierne Müdigkeit in den Beinen. Germir schaute ihn prüfend an und rief ihm dann zu: »Komm, hak dich bei mir ein!« Gern folgte Arminius der Aufforderung und ließ sich von seinem Bruder die Straße hinaufziehen. Als sie endlich oben angekommen waren, blinzelte der erschöpfte Knabe direkt in das schmerzende Gelb der Sonne. Sie wärmte noch, brannte aber nicht mehr, denn sie war bereits dabei, dem Mond das Feld zu räumen.
Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich Mauern, hinter denen sich einzelne Anwesen verbargen, die sich, wie Arminius bereits von unten gesehen hatte, bis zum Abhang des Palatin hinzogen und von unten teils durch Grundmauern gestützt wurden. Nach einer Weile sah Arminius einen von zwei mächtigen Pfeilern getragenen Bogen, der die Straße überspannte. Sie schritten darunter hindurch und kamen in einen großen Innenhof, den Säulenhallen umgaben, von denen man ins Innere der Häuser gelangte. Auf einem weiteren Bogen entdeckte Arminius einen Wagen, den vier Pferde zogen, und erfuhr, dass dieser Quadriga hieß. Dahinter erhob sich ein majestätisch auf einem Podest ruhender Tempel.
»Das ist der Tempel des Apollon«, sagte Salvianus halblaut. »Und diesen Bogen hat Augustus zu Ehren seines Vater Cornelius Octavius errichten lassen. Der Princeps wurde nämlich hier oben auf dem heiligen Hügel geboren.«
»Warum ist der Hügel heilig?«
»Weil von hier aus Rom seinen Anfang nahm. Hier oben gründeten die Brüder Remus und Romulus die Stadt.«
Während der tote Feldherr feierlich in der Aula, die sich vor dem Haus der Livia und dem Palast des Augustus befand, aufgebahrt wurde, hatten sich die Brüder auf dem warmen Boden aus grauschwarzem Travertin niedergelassen. Sie baten Salvianus, ihnen die Gründungslegende Roms zu erzählen. Er schilderte gerade den Mord des Romulus an seinen Bruder Remus in leuchtenden Farben – und erschreckte damit die beiden Knaben so sehr, dass sie ihre Hände ineinander legten und schworen, einander immer beizustehen und niemals zu verlassen –, als ein schwarzer Schatten auf sie fiel. Sie schauten auf und sahen Tiberius, dessen breiter Rücken die Sonne verdeckte.
»Es ist soweit«, sagte er.
Die Brüder sprangen auf, ihre Herzen zogen sich vor Angst zusammen.
»Du bist alt genug, Flavus, dass du das Waffenhandwerk bei den Prätorianern erlernen kannst. Es ist eine große Ehre für dich, in die Leibwache des Kaisers aufgenommen zu werden. Nimm deine Sachen und folge mir.«
»Und Arminius?«
»Er bleibt hier und wird im Haus der Livia gemeinsam mit Germanicus aufgezogen.«
Arminius spürte, dass ihn die Worte wie ein glühendes Schwert trafen. Er sollte sich von seinem Bruder trennen? Er hatte alles verloren, seine Eltern, seine Heimat, seine Freunde, und nun zwang man ihn auch noch, den einzigen Menschen, der ihm verblieben war, herzugeben! Es war ihm stets gelungen, nicht vor den Römern zu weinen, doch nun schossen ihm brennende Tränen in die Augen, die aus der Wunde sprudelten, die ihm die Anweisung des römischen Feldherrn geschlagen hatte. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, umsonst, neue Tränen drangen nach. Er schluchzte herzzerreißend und zog den Rotz hoch. Im Augenwinkel sah er neben sich einen blau gewandeten Schwerträger. Blitzschnell zog er ihm das römische Kurzschwert, den gladius, aus der Scheide und richtete es drohend auf den Prätorianer, der es sich zurückholen wollte.
»Germir bleibt bei mir!«, schrie Arminius.
Zwei andere Prätorianer stürzten mit gezückten Waffen auf ihn zu, doch Tiberius hob die Hand und hielt sie zurück. »Zu viel Aufwand für einen kleinen Jungen«, sagte er, zog sein Schwert und ging auf Arminius zu. Der Junge hieb mit aller Kraft und seiner ganzen Wut auf Tiberius ein, der sich eine ganze Weile spielerisch verteidigte.
»Eine beeindruckende Entschlossenheit, viel Ungestüm, aber leider keine Technik. Der Fehler deines Volkes«, höhnte der Römer.
Mit einer wie nebenbei ausgeführten Bewegung schlug er dem Jungen das Schwert aus der Hand, das im hohen Bogen durch die Luft flog und klirrend an einer Mauer landete.
»Lerne deine Wut zu zügeln, Arminius, erlerne erst das Waffenhandwerk, bevor du zur Waffe greifst«, sagte Tiberius. Mit einem Blick auf Flavus, der noch immer dastand, wie vom Donner gerührt, fuhr er fort: »Und du steh nicht da wie eine Statue, folge dem Prätorianer, der gerade das Schwert aufliest, das er verloren hat.«
Der Prätorianer lief vor Wut rot an.
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