Arminius
ihn? Bestimmt! Ganz gewiss! Schon hatten sie die Aula hinter sich gelassen, waren unter dem eindrucksvollen Bogen hindurchgerannt und schließlich den Clivius Palatinus hinunter bis zum Forum gelaufen.
An einem großen Mietshaus bog Arminius plötzlich in eine kleine dunkle Straße ab. Erschrocken stellte Germanicus fest, dass der Cherusker in die Subura hastete, in jenes Viertel von Rom, das auch für Erwachsene um diese Zeit brandgefährlich war – wenn man dort nur sein Geld oder die Unschuld verlor, konnte man noch von Glück sagen. Die Straßen verengten sich zu dunkeln Gassen. Die sich schwarz mit dem Nachthimmel verbindenden aufstrebenden Wände der Mietshäuser verwandelten die Gassen in Bergstollen, die in die Unterwelt führten. Hin und wieder drang Licht aus einer Kaschemme. Vor dem jungen Römer platschte eine übel riechende Masse auf das Pflaster. Jemand hatte, weil es in den Mietwohnungen keine Toiletten gab, wie üblich seinen Nachttopf einfach aus dem Fenster auf die Straße entleert. Germanicus schüttelte sich vor Ekel, als ihm bewusst wurde, dass er barfuss unterwegs war. Doch die Verlockung durch das Abenteuer überwog das Unbehagen.
Arminius und kurz darauf Germanicus bogen um eine Ecke und kamen an einem von Fackeln hell erleuchtetem Gebäude vorbei, vor dem ein reges Treiben herrschte. Geschminkte Jünglinge und Mädchen, die man zuweilen erst auf den zweiten oder dritten Blick unterscheiden konnte, unterhielten sich mit älteren Frauen, die vulgäre durchsichtige Gewänder trugen, die alles zeigten, was man eigentlich nicht zu sehen wünschte, und fette weibische Männer stritten um Kunden, die sie ins Innere des Hauses zu ziehen gedachten.
Da bemerkte Germanicus, dass ein gepflegter älterer Herr aus der Tür trat, der zu seinem Erstaunen so gar nicht zu der vulgären Umgebung passte. Die weiße Toga, die sorgfältig gebrannten, schier unzähligen Löckchen auf seinem Haupt, das goldene Armband um das linke Handgelenk und die beiden schweren Ringe an den Fingern der linken und der rechten Hand wiesen ihn als Senator, zumindest aber als vermögend aus. Sie sahen einander an, und der Junge wurde von einer Woge der Übelkeit erfasst, als er spürte, dass der triefende Blick des alten Lüstlings ihn bereits vergewaltigte. Instinktiv erkannte er die Gefahr, und doch konnte er weder wegschauen, noch weglaufen, denn er fühlte sich wie vom Ekel gebannt. Schließlich zeigte der Mann schlaff mit dem Finger auf ihn. Endlich vermochte Germanicus sich loszureißen, wandte sich zur Flucht, doch im selben Moment spürte er schon, wie ihn die kräftigen Arme eines Sklaven umklammerten. Er trat und biss und schrie – umsonst.
»Lass mich, lass mich los, ich bin der Sohn des Nero Claudius Drusus!«, rief er verzweifelt. Aber der Sklave lachte nur und ließ ein Schnalzen hören, dessen Gemeinheit Germanicus plötzlich Todesangst einflößte. »Um so schlimmer für dich, dann müssen wir dich, wenn du meinem Herrn genügend zur Lust gedient hast, zerstückeln und im Tiber versenken, damit sich niemand an uns rächen kann.«
Dem Knaben schlug das Herz bis zum Hals.
»Arminius!«, konnte er noch schreien, bevor der Kerl ihm mit seinen groben Händen den Mund zuhielt und knurrte: »Halts Maul!«
Arminius blieb stehen, drehte sich um und entdeckte zu seiner Verwunderung Germanicus. Dann verschwand er im Dunkeln.
Verzweifelt versuchte Germanicus sich aus dem Griff des Sklaven zu lösen, doch er war zu schwach. Tränen der Wut traten ihm in die Augen, sodass er das grelle Licht über dem Eingang und im Flur des Hauses als brennenden Schmerz empfand. So muss es sein, wenn man geblendet wird, durchfuhr es ihn. Der Mann zerrte ihn mit sich, bis er den Knaben schließlich in einen Raum stieß und die Tür hinter ihm verriegelte.
Panisch wie ein gehetztes Tier sah sich Germanicus um. In dem viereckigen Raum gab es weder ein Fenster noch eine weitere Tür. Vom Schweiß und vom vergossenen Samen der Männer war der Estrich grauschwarz geworden und glänzte fett. Es roch süß und scharf wie eine Mischung aus überreifem Flieder und Urin. Die Hälfte des Raumes nahm ein kniehohes gemauertes Bett ein. Der junge Römer hätte sich am liebsten getötet, um der Qual und der Schande zu entgehen, die ihm bevorstand, doch er hatte kein Messer, er hatte gar nichts bei sich! Er schaute an sich herab und stieß ein bitteres Lachen aus. Die Aussicht auf das große Abenteuer hatte ihn blind gemacht für die Gefahren, die an
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