Arminius
sich die prachtvollen Fußbodenmosaike der den Hof umgebenden Säulenhallen nur erahnen. Aber dafür hatte er jetzt ohnehin keinen Blick.
Germanicus bemerkte gerade noch, wie Arminius am Ende des Ganges nach links abbog, und rannte ihm hinterher. Doch als er um die Ecke bog, konnte er ihn nirgends entdecken. Er vermutete, dass Arminius in den Flur gelaufen war und den Innenhof verlassen hatte. So schnell er konnte, eilte Germanicus zu dem Korridor, der von der Mitte der Schmalseite durch eine Zimmerflucht zum nächsten Innenhof führte. Warmes Fackellicht flackerte noch aus einigen links und rechts vom Gang abgehenden Zimmern, züngelte in schmalen Streifen über die Bodenmosaike und berührte mit glühenden Fingern die Wände. Der Junge hatte jetzt keinen Sinn dafür, die Kunst der Flammen zu bewundern, die durch ihren ausgewählten Schein die Motive der Mosaiken veränderten und die Bilder an den Wänden beunruhigend verfremdeten. Das tagsüber leuchtende Rot in den Fresken verwandelte sich im Feuerschein zu Glutkernen. In diesem Licht nahmen harmlose Hirtenknaben plötzlich das gefährliche Aussehen von Dämonen der Lust an, die einem das Leben auszusaugen verstanden. Germanicus erkannte plötzlich die vertraute Umgebung nicht mehr wieder. War denn die Nacht in Wahrheit nichts anderes als ein böser Magier, der die Schafe in reißende Wölfe zu verzaubern vermochte?
Gelächter, gemein und schmutzig, der spottende Klang der Flöten und das Grunzen der Hörner, vermischt mit vielen nicht weniger unangenehmen zum Teil schmatzenden Geräuschen, zog aufdringlich wie der Geruch von in altem Öl gebratenem Fisch durch die Gänge des miteinander verbundenen Häuserkomplexes. Dem Jungen schwanden fast die Sinne, doch er raffte sich auf und zwang sich zur Konzentration. Der Kaiser hatte ihm doch einen wichtigen Auftrag anvertraut. Wo, bei Jupiter, war Arminius abgeblieben? Hatte auch der kleine Germane sich verwandelt? In einen Satyr vielleicht? Einen Gespielen Pans?
Germanicus ärgerte sich darüber, dass man ihn nur über die Götter und über die Riten, um sie zu ehren, aufgeklärt hatte, nicht aber über die Dämonen. Nach römischer Auffassung existierten einzig die Götter, die von Leidenschaften beherrscht und getrieben wurden wie die Menschen. Aber obwohl sie den Menschen darin glichen, galten sie weder als gut noch als böse, sondern vereinigten in sich Gut und Böse, je nachdem. Erschöpfte sich damit aber bereits der Reigen übernatürlicher Gestalten?
Die chaldäische Sklavin hatte ihm einmal angedeutet, dass im Osten Dämonen ihr Unwesen trieben, an deren Bosheit man zur eigenen Sicherheit nicht zweifeln durfte, doch weiter war sie mit ihrer Erzählung leider nicht gekommen. Denn Antonia verbot der Sklavin, ihren Sohn mit abergläubischen Geschichten zu verwirren. So sehr er auch bat, so sehr er bettelte, die Chaldäerin sprach niemals wieder darüber. Dabei hatte er doch das Riesenweib an der Albis mit eigenen Augen gesehen, genauso wie er Zeuge des geweissagten Todes seines Vaters geworden war. Wölfe heulten dazu, und das wilde Heer zog in jenen Stunden am Himmel vorüber. Er hatte doch mit eigenen Sinnen das Unbegreifliche erfasst, das die Römer Aberglauben nannten. Ihm kam das viel wirklicher vor als all die täglichen Opfer für die Hausgötter und die Festtagsriten, die man pünktlich feierte, weil es sich eben so gehörte. Tief, ganz tief in seinem Herzen ahnte Germanicus, dass es Geister gab, von denen die Römer keine Kenntnis besaßen oder besitzen wollten, was auf ein und dasselbe hinauslief, auf pure Ignoranz. Die Dämonen der chaldäischen Sklavin zum Beispiel. Ihm schien der verpönte Aberglaube weit realer zu sein als die geordnete römische Religion, die letztlich nur einen einzigen Gott kannte, nämlich die Disziplin. Doch all das vermochte er noch nicht in Worte zu fassen, es blieb eine dunkle Ahnung, die ihn so verlässlich heimsuchte wie ein immer wiederkehrender Albtraum.
Das alles ermüdete den Jungen. Er sehnte sich nach seinem Bett und nach dem ammenwohligen Schlaf, der ihn träge wie einen satten Säugling machen würde. Fabelwesen in verzauberter Landschaft tanzten vor seinen Augen. Undeutlich erinnerte er sich daran, dass er eine Aufgabe hatte. War er etwa eingeschlafen?
Germanicus verpasste sich eine schallende Ohrfeige. Die Wange brannte wie Feuer. Der Schmerz erfrischte ihn wie ein kaltes Bad. Endlich sah er ihn wieder: Arminius hatte offenbar den Knall der Ohrfeige
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