Arrivals: Fürchte die Unsterblichkeit (German Edition)
Schau.
Der Blick, den Melody ihr zuwarf, war alles andere als beiläufig. »Also, wie viele Menschen hast du umgebracht?«
»Melly.« Hector stieß sein Messer in den Tisch. »Fang keinen Streit an.«
»Ich unterhalte mich nur.« Melodys Blick schwankte nicht. »Du zeigst mir deins; ich zeige dir meins. Wie sieht es aus, Chloe?«
»Danke, aber ich verzichte.« Chloe ließ ihre Stimme unbeschwert klingen. Darüber redete sie nie. Grundsätzlich nicht. Und sie würde ganz bestimmt nicht mit dieser feindseligen Hausfrau darüber wetteifern, wer den Größten hatte. »Ich stehe mehr auf dem Standpunkt neue Welt, neues Leben, verstehst du?«
»Nicht wirklich«, sagte Melody.
Doch bevor sich die Fronten weiter verhärten konnten, traten Jack, Edgar und Kitty in die Taverne. Ein kleiner Rest Besorgnis, von der Chloe gar nicht klar gewesen war, dass sie sie gehegt hatte, löste sich bei ihrem Anblick auf. In Anwesenheit der revolverschwingenden Geschwister fühlte sie sich sofort sicherer. Francis schien ein anständiger Bursche zu sein, aber er war fast blind. Melody war vollkommen durchgeknallt, und über Hector hatte sie sich noch kein Urteil gebildet.
»Ajani wird jeden Moment hier sein«, erklärte Kitty. »Draußen waren ein paar seiner Lakaien.«
»Bringt Francis aufs Zimmer«, befahl Jack.
»Wir haben keine Zimmer«, gab Francis zurück.
»Dann besorgt welche.« Jack sah sich in der Taverne um und sah dann seine Leute an. »Ihr drei bleibt dort.«
Melody nickte; Francis zuckte mit den Achseln. Hector ging davon und rief nach der Kellnerin, die ihnen das Obst gebracht hatte. Edgar zog seine Waffe und warf Kitty einen Blick zu. »Du kennst die Antwort«, murmelte sie nur, »also mach dir nicht die Mühe, mich zu fragen. Ich bleibe bei euch.«
Jack stand da und starrte Chloe an, und sie gab sich Mühe, sich unter seinem Blick nicht zu krümmen. Sie war sich nicht bewusst, etwas falsch gemacht zu haben, doch er beobachtete sie schweigend. »Du solltest mit uns kommen«, sagte er schließlich.
»Okay.« Chloe wusste nicht, was los war, aber sie fand, sie sollte sich auf die Seite der Menschen stellen, die sie aufgenommen hatten; vor allem, da sie drei Kämpfer zu wenig hatten. Mit einem Selbstbewusstsein, das sie sich vor ein paar Tagen, noch in der Welt, die ihre Heimat gewesen war, nicht hätte vorstellen können, schob sie den Stoff ihres Rocks beiseite und zog ihren Revolver aus dem Holster an ihrem Oberschenkel.
»Den brauchst du im Moment nicht«, erklärte Jack leise. »Ajani ist hier, um zu reden … na ja, eigentlich, um zu lügen.«
Chloe warf demonstrativ einen Blick auf den offenbar bewaffneten Edgar und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Er hat das Gefühl, meine Schwester beschützen zu müssen«, sagte Jack.
Ein paar Gäste traten an die Fenster, aber darüber hinaus reagierte niemand. Kitty neigte den Kopf und flüsterte ein paar Worte. Obwohl Hector vorhin verletzt worden war, sah er die anderen sehnsüchtig an, während er zurückging und Melody half, Francis zu der Treppe zu führen, die in die oberen Stockwerke der Taverne führte. »Wenn es eine Schießerei gibt, komm ich nach draußen.«
Melody strich sich das Haar zurück. »Ich werde aus dem oberen Fenster zielen, auch wenn nicht geschossen wird.«
»Es wird keine Schießerei geben«, erklärte Jack ihnen. »Los.«
Er führte den Rest ihrer kleinen Gruppe nach draußen. Auf der kleinen Plattform vor dem Gasthaus blieben sie stehen. Sie bestand aus einer Art Stein oder Fels, und darüber befand sich ein kleines Dach zum Schutz vor den Elementen, das aussah, als sei es aus getrocknetem Kaktus und Schlamm gebaut. Direkt vor ihnen auf der Straße saß ein Mann in einer reich geschmückten Sänfte. Das wenige, was Chloe von ihm erkennen konnte, erinnerte sie an opulente historische Filme. Zu Hause hätte sie gesagt, er sei gekleidet wie jemand aus einer anderen Zeit. Hier jedoch wusste sie nicht, ob er nicht einfach aus einem ganz anderen Teil des Wastelands stammte.
Die Sänfte war, ganz unabhängig von Ajanis Kleidung, ein Beförderungsmittel, das von Arroganz und Reichtum zeugte. Sie stellte eine Art Fahrzeug dar, das ähnlich wie eine Kutsche aussah, nur ohne Räder oder Pferde. Stattdessen besaß sie lange Stangen, an denen sie von Dienern hochgehoben und getragen werden konnte. Chloe konnte sich nicht vorstellen, wie unangenehm sie sich fühlen würde, wenn sie sich in einem schweren Sitz mit Wänden umhertragen ließe;
Weitere Kostenlose Bücher