Arsen und Apfelwein
betrat sie einen großen Raum, der offensichtlich als Büro und Besprechungsraum diente. Auch hier wurden die Schritte durch dicke, wertvoll erscheinende Teppiche gedämpft. Die Wände waren holzgetäfelt und gaben dem Raum eine heimelige Wirkung. Vor einem großen Schreibtisch aus dunklem Holz stand der Botschafter. Er war von eher durchschnittlicher Größe und hielt sich sehr gerade. Seine Haut war nur wenig dunkler als Jennys und er trug ein reich besticktes kaftanartiges Gewand. Die dunklen Haare waren ebenso wie der Kinnbart kurz geschnitten.
Neben ihr verbeugte sich Rabiah tief. Als sie sich wieder aufrichtete, stellte sie Jenny vor. »Die Kommissarin Jenny Becker, Eure Exzellenz.«
Jenny war unsicher, wie sie sich verhalten sollte. Sie deutete eine Verbeugung an, doch der Botschafter war schon auf sie zugetreten und bot ihr die Hand.
»Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Bitte setzen Sie sich.«
Nachdem er ihre Hand kurz und fest geschüttelt hatte, führte er sie zu einem runden Tisch, an dem zwei gepolsterte Sessel standen. Mit einem kurzen Nicken wurde Rabiah entlassen.
»Rabiah wird uns gleich ein paar Erfrischungen bringen.«
Jenny räusperte sich. »Sie sind sehr freundlich.«
»Gastfreundschaft ist ein wichtiger Grundpfeiler unserer Kultur.« Jenny wusste keine Antwort und nickte.
»Wissen Sie etwas über mein Land?« Er lächelte sie an und sie entspannte sich etwas.
»Leider nein, Eure Exzellenz. Fast gar nichts.«
Er nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. »Ähnlich ging es mir, als ich hierher kam. Natürlich hatte ich mich mit Hilfe von Büchern und Filmen vorbereitet, doch die Realität ist ganz anders.«
»Das ist wohl wahr«, stimmte sie zu.
Jetzt lächelte er verschmitzt. »Nichts hätte mich auf den Geschmack von Apfelwein vorbereiten können!«
Jetzt musste Jenny lachen. »Apfelwein? Es gibt viele Einheimische, die mit dem Geschmack nicht gut zurechtkommen.«
Rabiah kam wieder ins Zimmer und balancierte ein Tablett mit kleinen Tassen, einer Kanne und einem Teller mit Süßigkeiten. Sie arrangierte alles auf dem Tisch zwischen Jenny und dem Botschafter und schenkte dunklen Kaffee in die Tassen. Dann verließ sie schweigend den Raum.
Der Botschafter nippte an seiner Tasse und Jenny tat es ihm nach. Warm und süß kam ihr als Erstes in den Sinn, dann traf sie das Aroma von fremden Gewürzen.
»Fantastisch«, meinte sie ehrlich und stellte die Tasse ab.
Der Botschafter nickte. »Rabiah ist eine Frau mit vielen Talenten. Ich werde sie vermissen.«
Offensichtlich kamen sie jetzt zum Grund ihres Besuches. Der Botschafter kam ohne weitere Verzögerung zur Sache. »Bitte erklären Sie mir, was Sie von Rabiah erfahren wollten.«
Jenny hatte sich ihre Worte bereits zurechtgelegt. Sorgfältig legte sie die Vorfälle dar, die zur Kontaktaufnahme mit Rabiah geführt hatten.
Der Botschafter schwieg lange, als sie geendet hatte. Sie fühlte den Drang, sich zu entschuldigen.
»Ich wollte Sie natürlich direkt kontaktieren, aber der Staatsanwalt …«
Er hob die Hand. »Diplomatische Verwicklungen. Ich verstehe vollkommen.«
Er schwieg noch einen Moment. Dann schien es, als fasste er einen Entschluss. »Ich kann Ihnen sagen, was Sie wissen wollen.«
Jenny war überrascht. »Tatsächlich?«
»Ob es bei Ihren Ermittlungen hilft, weiß ich jedoch nicht.«
Sie sah ihn erwartungsvoll an. Er zögerte und suchte offensichtlich nach einer angemessenen Formulierung. »Der junge Mann, der, wie ich jetzt weiß, Marc Duprais heißt, kam das erste Mal im letzten November mit seinen Eltern hier in die Botschaft. Wir können nur vermuten, warum er einige Zeit später noch einmal hierher kam.«
Jenny hatte da ebenfalls so ihre Vermutungen, behielt sie jedoch zunächst für sich.
»Das zweite Mal kam er ohne Einladung. Genauer gesagt, er schmuggelte sich auf einer Weihnachtsfeier unerkannt ins Haus.«
»Lassen Sie mich raten, als Weihnachtsmann?«
Er schien wenig überrascht. »Tatsächlich. Die altehrwürdige deutsche Sitte des Weihnachtsmannes diente dazu, meine Wachleute zu überlisten. Wir fanden einen Teil des Kostüms später in einem Kellergang. Nur so merkten wir überhaupt, dass ein ungebetener Gast auf der Feier war. Wer es war, wussten wir bis heute nicht und auch jetzt kann ich nur vermuten, dass Ihr junger Mann der heimliche Besucher war. Verschiedene Gegenstände wurden in dieser Nacht gestohlen.«
Jenny lehnte sich gespannt vor. Der Botschafter
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