Artefakt
schüttelte den Kopf. »Wo ist die Masse? Die Masse, die derjenigen eines ganzen Berges gleichkommt! Mit diesem Gewicht würde das Ding durch den Boden fallen, als ob der Beton aus Spinnweben wäre.«
»Du hast den Würfel wieder gewogen?«
Er nickte. »Angenommen, es ist ein ziemlich großes Loch da drin, dann wiegt die Singularität vielleicht fünfzig, hundert Kilo.«
Er stand eine Weile in Gedanken verloren. Schließlich fragte sie: »Willst du noch etwas anderes messen?«
»Wie? O ja, gewiß. Ich möchte feststellen, wie diese Beschleunigung aus anderen Winkeln aussieht. Eine dreidimensionale Karte davon machen.«
»Dann kann ich das hier abbauen…« Sie machte sich daran, den Gravimeter zwischen den Kabeln und elektronischen Meßinstrumenten herauszubugsieren.
»Claire?«
Sie blickte auf, vor Konzentration schwitzend und auf die Unterlippe beißend, eine Haarlocke in der Stirn. Er lächelte und sagte: »Nur weil etwas verrückt ist, bedeutet es nicht, daß es falsch sein muß.«
2
Der Kampf zwischen den Verwaltungen der Universität Boston und des MIT war kurz, erbittert und wurde auf höchster Ebene geführt. Die Universität Boston hatte seit den ruhmreichen Tagen ihres Präsidenten Silber nichts von ihrer kämpferischen Selbstbehauptung eingebüßt, und das MIT war ohnedies gewohnt, seine Interessen zu wahren. Sein Präsident kam in die Halle und nahm das Artefakt in Augenschein. Abe schilderte, daß seine physikalischen Eigenschaften nicht mit seinem Ursprung in Einklang zu bringen seien. Claire und John waren anwesend, hielten sich aber auf Abes Rat hin im Hintergrund. Verschiedene Dekane und andere kamen ins Spiel, Teile einer von Abe, der all seine Dankesschulden eintrieb, organisierten Blockadebewegung.
Abe nahm den Standpunkt ein, daß das Artefakt aufgehört habe, ein allein archäologischer Gegenstand zu sein, und nun in erster Linie wegen seiner physikalischen Eigenschaften interessant sei. Er erklärte dem Präsidenten, daß der Würfel eine radioaktive Anomalie beherberge, eine ungewöhnliche Konzentration, die sich bislang jeder Analyse entziehe.
Dies alles traf zu, änderte aber nichts an der juristischen Sachlage. Abe behauptete, daß das Erscheinen der physikalischen Eigenschaften in dem Artefakt zufällig sein müsse. Die Einrichtungen, die zu ihrem Studium erforderlich seien, stünden am MIT weit vollständiger zur Verfügung als an der Universität Boston. Dem Präsidenten mißfiel der Anschein, man wolle das Stück in arroganter Selbstherrlichkeit einer Schwesterinstitution vorenthalten, begriff aber den wissenschaftlichen Aspekt. Er stimmte zu, dem Präsidenten der Universität Boston eine kurze Studienperiode am MIT vorzuschlagen, worauf der Gegenstand der Universität Boston übergeben und anschließend nach Griechenland zurückgebracht werden sollte. Er trug dies Hampton und den führenden Köpfen an der Universität Boston vor. Alle stimmten darin überein, daß die Angelegenheit im höchsten Maße peinlich sei und auf beide Hochschulen kein gutes Licht werfe. Die Konsequenzen für Claire waren wahrscheinlich ziemlich bitter, aber das war eine Sache, die geregelt werden konnte, wenn das Artefakt wieder in griechischen Händen wäre. Es wäre begrüßenswert, wenn man in der Angelegenheit bis zum Rücktransport Stillschweigen bewahren könnte.
Damit hatte es bis zum nächsten Morgen sein Bewenden.
Claire kam ohne zu klopfen in Johns Büro. Er war mit seiner Arbeit für den Fachbereich Metallurgie im Rückstand und versuchte eine Lösung für ein besonders schwieriges Grenzwertproblem zu finden, dem er mit komplizierten Integralgleichungen beizukommen suchte. Wenn er für diese Woche etwas Konkretes vorzuzeigen hätte, würde er sich berechtigt fühlen, den Rest seiner Zeit auf das Problem der Singularität zu verwenden, das mühsame und langwierige Arbeit mit sich brachte.
»Sieh dir das an!« sagte Claire in scharfem Ton, als sei er für alles verantwortlich, was in der Nummer des Boston Globe stand, die sie ihm auf den Schreibtisch warf.
»Gibt es schlechtes Wetter?« fragte John gelassen. Es war eine stehende Redensart zwischen ihnen; für ihn war immer schlechtes Wetter im Anzug.
»Hampton ist an die Öffentlichkeit gegangen.«
»Was? Aber Abe sagte…«
»Stillschweigendes Übereinkommen, ha.«
»Dieser Saukerl!«
»Du sagst es.«
Der Artikel im Globe war ein Interview mit Hampton, das dieser allem Anschein nach gegeben hatte, bevor das Abkommen
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