Artefakt
»Was…?«
»Eine Pracht, wie? Wir dachten, die Platte könnte auf beiden Seiten bearbeitet sein, aber wer hätte gedacht, sie würden etwas dahinter einmauern?«
»Mykenische Gräber hatten keine Hohlräume in den Wänden…« fing sie an und verstummte. Soviel für die konventionelle Weisheit.
»Sieh nur, wie symmetrisch es ist!« sagte George liebevoll. »Vollkommen. Nur, ein vollkommenes Was?«
»Ich habe nie Vergleichbares gesehen.«
»Ein Ornament, das ist gewiß.«
»Aber kein Loch darin, soweit ich sehen kann, also konnten sie es nicht um den Hals getragen haben.«
»Richtig. Dafür ist es sowieso zu lang – muß mindestens zehn Zentimeter sein. Ich frage mich, wie es befestigt ist.«
Er streckte den Arm durch die Öffnung und berührte das Gestein um die Basis des Zapfens. »Scheint in den Stein eingelassen zu sein. Ja, siehst du? An der Basis hört die Verdickung des Zapfens auf; dort hat man ihn in den dunklen Kalkstein eingesetzt.«
»Ein ziemlich seltenes Material, vor allem hier. Komisch, daß sie es verborgen haben.«
»Ja, man sollte meinen, sie würden es zur Schau stellen. Ich bin wirklich froh, daß ich nicht den Zapfen traf, als ich die Stahlstreben einsetzte.«
Wahrscheinlich war es seine Art zu sagen, daß ihm bewußt war, welches Glück er gehabt hatte. Ganz allein, im Kampf mit Gewichten, die er kaum handhaben konnte, auf gut Glück Verstrebungen hineinschlagen… Sie schüttelte den Kopf.
George drückte ihr die Lampe in die Hand. »Leuchte mal!«
Er zwängte sich in den engen Raum zwischen der hängenden Steinplatte und der Wandöffnung. Der Lichtschein zeigte, daß das schwarze Gestein die Öffnung nicht ganz ausfüllte. Er ließ auf einer Seite fünf Zentimeter und auf der anderen noch etwas mehr Raum. Oben und unten gab es keine Abstände.
Claire sagte: »Sieht so aus, als wären die Quader oben und unten auch nur Steinplatten.«
»Aber sieh dir die Seiten an! Einen halben Meter dick, mindestens.«
»Um das Gewicht der Kuppel zu beiden Seiten dieser dünneren Einsätze aufzufangen«, meinte Claire. Sie berührte die dunkle Oberfläche. Sie war ein wenig uneben, vielleicht mit der gleichen routinierten Effizienz behauen, die ein Steinmetz auf Pflastersteine wenden mochte. »Große Meißelspuren«, murmelte sie.
»Ja, man sollte meinen, daß jemand, der einen Kunstgegenstand anfertigt, feinere Arbeit leisten würde. Es sieht schlampig aus.«
»Gib mir die Lichtröhre, sei so gut! Vielleicht können wir hinter dieses Ding sehen.«
Er kroch zurück und nahm die Handlampe mit. Im Halbdunkel glaubte Claire ein goldenes Glimmen in dem Zapfen zu sehen, als enthielte er winzige reflektierende Einschlüsse. Unreinheiten, vielleicht. George murmelte hinter ihr, hantierte mit dem Licht, dessen tanzende Schatten die Lichterscheinungen anwachsen und verblassen ließ.
Wahrscheinlich Bernstein, dachte sie. Feine Arbeit, älter als 3500 Jahre. Die Jahre ihrer Ausbildung hatten ihre Fähigkeit zu ehrfürchtigem Staunen nicht verkümmern lassen.
Der Zapfen war ungefähr so lang wie ihre Hand und mündete gleichmäßig und glatt in einer gerundeten Spitze. Als sie den Stein berührte und die Hand auf seine Oberfläche legte, überkam sie ein leises Unbehagen, ein prickelndes Gefühl, und sie zog die Hand zurück.
»Hier.« George reichte ihr die Lichtröhre. Sie war bei dieser Ausgrabung seine Vorgesetzte. Obwohl die Archäologen gewöhnlich kein großes Aufhebens um die Hackordnung machten, hatte Claire nun, da die großen Namen die Ausgrabungsstätte verlassen hatten, das Recht auf die erste Inspektion. Das war bisher noch nie der Fall gewesen, und sie war erfüllt von aufgeregter Erwartung. Es war ein Glück, daß Kontos nach Athen zurückgefahren war.
Sie schob die dünne, flexible Kunststoffröhre in die Mauerlücke rechts neben dem schwarzen Kalkstein. Die Röhre enthielt neben der Optik eine dünne Entladungslampe und trug am Ende einen um 45 Grad zur Längsachse geneigten Planspiegel mit einem Objektiv, durch welches man um Ecken sehen konnte.
George schaltete die Handlampe aus. Claire setzte das Okular ans Auge, drehte die Lichtröhre und sah eine rauhe Oberfläche. Langsam drehte sie die Röhre seitwärts. »Erde und Felsgeröll. Ursprünglicher Boden.«
George kauerte neben ihr, während sie die Inspektion fortsetzte.
»Der Hohlraum endet rechts nach ungefähr zehn Zentimetern. Nein, warte – da ist ein kleines Loch. Sieht wie Wassererosion aus.«
»Kannst du nicht
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