Artemis Fowl
gezogen wurde. Dieses Menschenwesen war verdammt stark; es gab nicht viele, die einen Zwerg, der sich an etwas festklammerte, von der Stelle bewegen konnten. Er scharrte wild in der Erde und stopfte sich so viel weingetränkten Lehm in seinen gewaltigen Mund wie nur möglich. Er hatte nur eine Chance.
»Komm schon, du kleiner Kobold, raus da.«
Kobold! Wenn sein Mund nicht so voll gewesen wäre, hätte Mulch sich diese Beleidigung erbost verbeten.
Der Mensch verstummte. Wahrscheinlich hatte er die Poklappe bemerkt, und vermutlich auch den dazugehörigen Hintern. Zweifelsohne dämmerte ihm, was ihm im Saferaum passiert war und...
»Ach du Sch-«
Was aus dem »Sch-« werden sollte, mag sich jeder selbst zusammenreimen, denn Butler verzichtete darauf, seinen Ausruf zu beenden, und nutzte den Moment stattdessen, um die Knöchel des Zwergs loszulassen. Ein weiser Entschluss, denn im gleichen Augenblick schoss Mulch seine unappetitliche Ladung ab.
Ein kompakter Lehmklumpen sauste wie eine Kanonenkugel genau auf die Stelle zu, wo Butler noch eine Sekunde zuvor seinen Kopf gehabt hatte. Die Aufprallwucht hätte ihn von Butlers Schultern getrennt, wäre er noch immer dort gewesen - ein schmachvolles Ende für einen Leibwächter von seinem Kaliber. So jedoch streifte das matschige Geschoss lediglich sein Ohr, was jedoch immer noch ausreichte, um Butler wie einen Eiskunstläufer in eine Pirouette zu wirbeln, woraufhin er zum zweiten Mal an diesem Tag zu Boden ging.
Bis sein Drehwurm sich gelegt hatte, war der Zwerg in einem Mahlstrom aufgewühlten Schlamms verschwunden. Butler beschloss, auf eine Verfolgung zu verzichten. Unter der Erde zu sterben, gehörte nicht unbedingt zu seinen Prioritäten. Na warte, Freundchen, dachte er grimmig, wir sehen uns noch. Und so war es auch, doch das ist eine andere Geschichte.
* * *
Mulch bohrte sich mit voller Kraft in die Erde. Erst als er bereits mehrere Meter tief in der Lehmader vorgedrungen war, bemerkte er, dass ihm niemand folgte. Der Erdgeschmack beruhigte seinen Pulsschlag, und er beschloss, dass der Moment gekommen war, seinen Fluchtplan in die Tat umzusetzen.
Der Zwerg änderte seinen Kurs und mampfte sich zu dem Kaninchengehege durch, das er auf dem Hinweg entdeckt hatte. Hoffentlich hatte Foaly das Grundstück keinen seismologischen Tests unterzogen, sonst würde sein Trick am Ende noch auffliegen. Er musste einfach darauf setzen, dass die da oben Wichtigeres zu tun hatten als sich um einen verschwundenen Gefangenen zu kümmern. Julius zu täuschen, war bestimmt nicht die Schwierigkeit dabei, aber dieser Zentaur war nicht auf den Kopf gefallen.
Mulchs eingebauter Kompass ließ ihn nicht im Stich. Schon wenige Minuten später spürte er die sanften Vibrationen der Kaninchen, die durch ihre Gänge hoppelten. Von jetzt an war Timing alles, wenn das Täuschungsmanöver funktionieren sollte. Er verlangsamte seinen Grabrhythmus und scharrte vorsichtig in dem weichen Lehm, bis seine Finger durch die Tunnelwand stießen. Mulch achtete sorgsam darauf, in eine andere Richtung zu schauen, da alles, was er sah, auch auf dem Bildschirm der ZUP-Einsatzzentrale erscheinen würde.
Mulch breitete die Finger wie ein Spinnennetz auf dem Tunnelboden aus und wartete. Es dauerte nicht lange; innerhalb von Sekunden spürte er das rhythmische Hoppeln eines nahenden Kaninchens. In dem Moment, als der Hinterlauf seine Falle streifte, schloss er seine kräftigen Finger um den Hals des Tieres. Das arme Ding hatte keine Chance.
Tut mir Leid, kleiner Freund, dachte der Zwerg. Wenn es einen anderen Weg gäbe... Nachdem er das Kaninchen durch das Loch gezogen hatte, hakte Mulch seinen Kiefer wieder ein und begann zu schreien. »Einsturz! Einsturz! Hilfe!«
Jetzt kam der schwierigste Teil. Mit der einen Hand wirbelte er die ihn umgebende Erde auf, so dass sie in Kaskaden auf seinen Kopf fiel, während er mit der anderen die Iriskamera aus seinem linken Auge nahm und sie dem Kaninchen einsetzte. In Anbetracht der beinahe vollkommenen Dunkelheit und der umherfliegenden Erdbrocken musste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn jemand den Wechsel bemerkte.
»Julius! Bitte helfen Sie mir!«
»Mulch! Was ist los? Geben Sie Lagebericht!«
Lagebericht? Der Zwerg konnte es nicht fassen. Selbst in einer vermeintlichen Notsituation musste der Commander seine dämlichen Vorschriften einhalten.
»Ich... Aarrhhh...« Der Zwerg stieß einen Todesschrei aus, der in einem Röcheln verhallte. Vielleicht
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