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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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Schädelfestgeschraubt, den man wiederum im «Affenstuhl» fixiert.
    Je mehr Literatur ich über Tierversuche gelesen habe, desto überraschter war ich daher, wenn in den politischen und auch philosophischen Vorschlägen, wie die Vertretbarkeit von Tierversuchen abgewogen werden soll, die «Höhe der zu erwartenden Belastung» als ein variabler Faktor angegeben wurde.[ 17 ] Geringfügig, mittel, schwer: Die Rede von unterschiedlich hohen Belastungen suggeriert, wir hätten es mit einem weiten Spielraum zu tun, der neben sehr starken Belastungen auch sehr geringe kennt. Doch geringfügige Belastungen sind extrem selten. Eine Maus unbeschadet durch ein Labyrinth laufen zu lassen
könnte
solch ein Versuch sein – vorausgesetzt, das Tier lebt ansonsten ein gutes Leben. Doch auch Labyrinthversuche werden meistens nicht mit unversehrten Tieren durchgeführt. Normalerweise hat man die Maus vorher manipuliert, zum Beispiel durch Verstopfen einer Hirnarterie einen Schlaganfall ausgelöst oder durch Injektion eines Giftes Parkinson-ähnliche Symptome. Danach will man mit dem Labyrinthversuch testen, ob die Maus den Ausweg noch genauso gut findet wie vor der Manipulation.
    Ein Schimpanse, der im Zoo geboren wurde und dort ein eintöniges Leben lebt, zeigt eventuell «von sich aus» Interesse an einem Versuch, bei dem er einen Mechanismus bedienen muss, um an eine Rosine zu kommen. Dafür sind aber seine Beschäftigungsmöglichkeiten insgesamt stark eingeschränkt. – Dies wäre ein Beispiel für die wenigen kognitiven Versuche aus der Verhaltensforschung, die nicht invasiv sind, bei denen also nicht in den Körper eingegriffen wird. Von den invasiven Versuchen könnte man eventuell die einmalige Entnahme von Zellkulturen, wenn sie bei wild lebenden Tieren unter Narkose geschieht, als gering belastend einschätzen – wenn das Tier nachher wieder in die Freiheit entlassen wird, was aber so gut wie nie geschieht.
    Die allermeisten Tierversuche sind natürlich nicht nur invasiv, sondern verursachen auch erhebliche Schmerzen und Stress. Ob Medikamententests oder Toxizitätstest, ob medizinische Forschung, neurophysiologische oder anatomische Forschung: Sie alle führen zu starken Belastungen. Das liegt teilweise in der Natur der Sache: Wenn Krebs nicht eine stark belastende Krankheit wäre, würden wir nicht versuchen, ihren Ursachen auf den Grund zu kommen; wenn es nicht belastend wäre, durch einen Unfall gelähmt zu sein, würden wir nicht versuchen, einen Weg zur Heilung von Lähmung zu finden. In den meisten Versuchen fügen wir Tieren daher genau das zu, was wir dem Menschen ersparen wollen – starke Schmerzen und Beeinträchtigungen.
    Natürlich wissen wir nicht genau, wie sich eine Krankheit für ein Tier anfühlt – aber so weit auseinander sind die einzelnen Spezies nun auch wieder nicht! Man hat selten eine bedauernswertere Laborratte gesehen als ausgerechnet jene, deren Foto im Juni 2012 die gute Nachricht «Gelähmte Ratten lernen laufen» illustrierte. Denn das Tier, das man vorher durch einen Schnitt im Rückenmark gelähmt hatte, wurde in ein Geschirr eingehängt und gezwungen, darin die Beine zu bewegen. Wer will allen Ernstes behaupten, dass es für das Tier keine schwere Belastung darstellte, erstens nicht mehr gehen zu können und zweitens in ein Gestell gehängt zu werden? Wenn ihre Stresswerte schon hochschnellen, wenn sie eine einzige Spritze erhalten, was empfinden Ratten wohl in solch einem Gestell?
    Bei anderen Versuchen ist der Zusammenhang noch offensichtlicher. Wenn Tiere ganz anders als wir empfänden, könnte man an ihnen keine Schmerzmittel, keine Narkotika, keine Beruhigungsmittel, keine Antidepressiva, nicht die Folgen von Stress und nicht die von Alkoholmissbrauch testen. (Zum Beispiel fügt man Mäusen bestimmte psychische Belastungen zu und beobachtet, dass sie danach mehr Alkohol konsumieren.) All diese Untersuchungen sind darauf angewiesen,dass es eine subjektive Seite, ein «Innenleben» der betreffenden Tiere gibt, das unserem Innenleben in relevanter Hinsicht ähnlich ist. Umgekehrt heißt dies leider auch: Wir fügen den Tieren bei dieser Forschung exakt die Leiden zu, die wir vermeiden wollen, deren Abschaffung wir anstreben, deren Intensität und Belastung wir für so dringlich halten, dass wir bereit sind, große personelle und finanzielle Anstrengungen zu ihrer Bekämpfung zu unternehmen. Wir Menschen wollen dieses Leid nicht, dafür sollen die Tiere es ertragen. Dabei sind wir den

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