Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
Vom Netzwerk:
ist er für immer nach Hause gekommen. Das muss wohl 1903 gewesen sein.«
    »Ein Viehtransporter, was Sie nicht sagen. Und wo ist er jetzt?«
    »In demselben Haus, in dem sein Vater gewohnt hat. Aber er hat sich sehr verändert. Er ist ja jetzt auch verheiratet.«
    »Hatten Sie je den Verdacht, er oder sein Bruder könnten die Briefe im Namen Ihres Sohns geschrieben haben?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich hatte keinen Grund dazu. Und ich hätte gedacht, dafür ist er zu faul und hat vielleicht nicht genügend Phantasie.«
    »Und – lassen Sie mich raten – hatten sie noch einen kleineren Bruder – einen Jungen mit einer recht unflätigen Ausdrucksweise vielleicht?«
    »Nein, nein. Sie waren nur zu zweit.«
    »Oder einen jungen Kameraden dieser Art, der oft mit ihnen zusammen war?«
    »Nein. Überhaupt nicht.«
    »Ich verstehe. Und hatte Royden Sharp etwas gegen Sie als Vormund?«
    »Oft ja. Er sah nicht ein, warum ich ihm nicht alles Geld aushändigen wollte, das sein Vater ihm hinterlassen hatte. Viel war es ja nicht. Darum wollte ich erst recht verhindern, dass er es verschwendet.«
    »Der andere Junge – Wallie – war der Ältere?«
    »Ja, er wäre jetzt um die Dreißig.«
    »Dann sind Sie wohl mit dem zusammen in die Schule gegangen, Harry?« Charlesworth nickte. »Sie sagten, er sei seltsam gewesen. In welcher Weise?«
    »Seltsam. Nicht ganz von dieser Welt. Genauer kann ich es nicht ausdrücken.«
    »Gab es Anzeichen von religiösem Wahn?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Wallie war gescheit. Ein kluges Köpfchen.«
    »Hat er in der Schule von Walsall Milton gelesen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Und nach der Schule?«
    »Er war eine Zeit lang bei einem Elektro-Ingenieur in der Lehre.«
    »Was ihm erlaubt hätte, in die Nachbarstädte zu fahren?«
    Mr Greatorex nahm diese Frage verständnislos auf. »Natürlich. Wie viele andere Männer auch.«
    »Und … wohnen die Brüder noch zusammen?«
    »Nein, Wallie ist vor ein, zwei Jahren ins Ausland gegangen.«
    »Wohin?«
    »Nach Südafrika.«
    Arthur sah seinen Sekretär an. »Warum gehen auf einmal alle nach Südafrika? Hätten Sie eine Adresse von ihm dort, Mr Greatorex?«
    »Vielleicht hatte ich mal eine. Wir haben allerdings gehört, er sei verstorben. Erst vor kurzem. Letzten November.«
    »Aha. Wie schade. Und das Haus, in dem sie miteinander wohnten, in dem Royden noch immer wohnt …«
    »Ich kann Sie hinführen.«
    »Nein, noch nicht. Meine Frage ist … liegt es abgeschieden?«
    »Ziemlich. Wie viele andere auch.«
    »Man könnte also ein und aus gehen, ohne dass Nachbarn es bemerken?«
    »O ja.«
    »Und man hat leichten Zugang zum freien Land?«
    »Allerdings. Gleich dahinter sind offene Felder. Aber das ist bei vielen Häusern so.«
    »Sir Arthur.« Es war das erste Mal, dass Mrs Greatorex etwas sagte. Als Arthur sich ihr zuwandte, sah er, dass ihr die Röte ins Gesicht gestiegen war, und sie schien erregter als bei Arthurs Ankunft. »Sie verdächtigen ihn, nicht wahr? Oder alle beide?«
    »Die Beweise häufen sich, um das Mindeste zu sagen, Ma’am.«
    Arthur machte sich darauf gefasst, dass Mrs Greatorex getreulich protestieren und sich weigern würde, seine Verdächtigungen und Verleumdungen hinzunehmen.
    »Dann sollte ich Ihnen wohl erzählen, was ich weiß. Vor etwa dreieinhalb Jahren – es war im Juli, daran erinnere ich mich noch, in dem Juli, bevor sie George Edalji festgenommen haben – kam ich eines Nachmittags am Haus der Sharps vorbei und ging hinein. Wallie war fort, aber Royden war zu Hause. Wir sprachen über die Verstümmelungen – alle sprachen damals darüber. Nach einer Weile ging Royden an einen Küchenschrank und zeigte mir … ein Gerät. Hielt es vor mich hin. Er sagte: ›Damit bringt man Vieh um.‹ Mir wurde vom bloßen Anblick übel, darum sagte ich, er solle es wegtun. Ich sagte: ›Du willst doch nicht, dass man denkt, du wärst es gewesen, nicht wahr?‹ Und dann hat er es wieder in den Schrank getan.«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte ihr Mann.
    »Ich dachte, es gibt schon genug Gerede, und wollte nicht noch mehr Gerüchte in die Welt setzen. Und ich wollte den ganzen Vorfall einfach vergessen.«
    Arthur nahm sich zusammen und fragte in neutralem Ton: »Sie haben nicht daran gedacht, das der Polizei zu erzählen?«
    »Nein. Nachdem ich meinen Schreck überwunden hatte, machte ich einen Spaziergang und dachte über die Sache nach. Und ich kam zu dem Schluss, dass Royden nur angeben wollte.

Weitere Kostenlose Bücher