Arthur & George
Grubenpony in elendem Zustand. Als er näher heranging, sah er, dass es sich kaum auf den Beinen halten konnte und schnell Blut verlor.
Auf seine Schreie hin stapfte eine Gruppe von Bergleuten durch das morastige Feld und sah sich den langen Schnitt am Unterleib des Ponys und den aufgewühlten, rotgesprenkelten Schlamm darunter an. Innerhalb einer Stunde war Campbell mit einem halben Dutzend Hilfspolizisten zur Stelle, und man hatte nach Mr Lewis, dem Veterinär, geschickt. Campbell wollte wissen, wer für die Streife in diesem Bereich eingeteilt war. Police Constable Cooper antwortete, er sei gegen elf Uhr an diesem Feld vorbeigekommen und das Tier habe vollauf gesund gewirkt. Doch es war eine dunkle Nacht, und er hatte das Pony nicht von nahem gesehen.
Das war der achte Fall in sechs Monaten und das sechzehnte verstümmelte Tier. Campbell dachte an das Pony und an die Zuneigung, die auch die raubeinigsten Bergleute diesen Tieren oft entgegenbrachten; er dachte an Captain Anson und seine Sorge um die Ehre von Staffordshire; doch vor allem hatte er beim Anblick der klaffenden, blutenden Wunde und des taumelnden Ponys den Brief im Sinn, den der Chief Constable ihm gezeigt hatte. Das werden lustige Zeiten in Wyrley , an den Satz erinnerte er sich. Und dann: Sie werden nämlich bis zum nächsten März mit zwanzig Mädchen dasselbe machen wie mit den Pferden . Zwei andere Wörter hatte er noch deutlich vor Augen: kleine Mädchen .
Campbell war ein tüchtiger Polizist, ganz wie Anson gesagt hatte; er war pflichtbewusst und besonnen. Er hatte weder vorgefasste Meinungen hinsichtlich eines Verbrechertypus, noch neigte er zu übereiltem Theoretisieren und phantastischen Eingebungen. Und dennoch: Das Feld, in dem die Gräueltat sich ereignet hatte, lag direkt zwischen der Grube und Wyrley. Wenn man eine gerade Linie vom Feld zum Dorf zog, war das erste Haus auf dem Weg das Pfarrhaus. Einfache Logik sprach dafür, das Verlangen des Chief Constable zu erfüllen und dem Haus einen Besuch abzustatten.
»Ist jemand hier, der letzte Nacht das Pfarrhaus beobachtet hat?«
Constable Judd trat vor und redete etwas zu ausgiebig von dem teuflischen Wetter und dem Regen, der ihm in die Augen fiel, was vielleicht hieß, dass er die halbe Nacht unter einem Baum Zuflucht gesucht hatte. Campbell bildete sich nicht ein, Polizisten seien frei von menschlichen Schwächen. Doch wie auch immer, Judd hatte niemanden kommen und niemanden gehen sehen; um halb elf war wie sonst auch das Licht gelöscht worden. Tja, aber da draußen war wirklich die Hölle los, Inspector …
Campbell sah auf die Uhr: 7 : 15 . Er schickte Markew aus, der den Solicitor kannte und ihn am Bahnhof festhalten sollte. Cooper und Judd wies er an, auf den Veterinär zu warten und Gaffer fernzuhalten, dann führte er Parsons und die übrigen Hilfspolizisten auf dem direkten Weg zum Pfarrhaus. Sie mus s ten sich durch mehrere Hecken zwängen und durch eine Unterführung auf die andere Seite der Bahngleise gelangen, doch sie schafften den Weg mühelos in weniger als fünfzehn Minuten. Noch vor acht Uhr hatte Campbell einen Constable an jeder Ecke des Hauses aufgestellt, und er und Parsons schlugen den Klopfer donnernd gegen die Tür. Da waren ja nicht nur die zwanzig jungen Mädchen; da war auch die Drohung, Robinson mit einem Gewehr in den Kopf zu schießen.
Das Hausmädchen führte die beiden Polizisten in die Küche, wo die Pfarrersfrau und die Tochter noch beim Frühstück saßen. In Parsons’ Augen wirkte die Mutter verängstigt und ihr Mischlingskind kränklich.
»Ich würde gern Ihren Sohn George sprechen.«
Die Frau des Pfarrers war dünn und schmächtig, ihr Haar fast vollständig weiß. Sie sprach leise und mit einem starken schottischen Akzent. »Er ist schon in seine Kanzlei gefahren. Er nimmt den Zug um sieben Uhr neununddreißig. Er ist Solicitor in Birmingham.«
»Das ist mir bekannt, Madam. Dann muss ich Sie bitten, mir seine Kleider zu zeigen. Sämtliche Kleider, ohne Ausnahme.«
»Maud, geh und hol deinen Vater.«
Parsons fragte mit einer Geste, ob er dem Mädchen folgen solle, doch Campbell bedeutete ihm, das sei nicht nötig. Einen Augenblick später tauchte der Pfarrer auf: ein kleiner, kräftiger, hellhäutiger Mann, nicht so ein komischer Kauz wie sein Sohn. Ein weißhaariger, aber gut aussehender Hindu, dachte Campbell.
Der Inspektor wiederholte seine Bitte.
»Ich muss Sie fragen, was der Grund für Ihre Ermittlungen ist und ob Sie einen
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