Artikel 5
Albernheiten.«
Er lachte. »Ich wette, das hat ihm gefallen. Du zierst dich.«
Mein Gesicht fühlte sich brennend heiß an. Das war mir zu nah. Zu persönlich.
Als ich mich abwandte und gehen wollte, packte er mit der gesunden Hand meine beiden Handgelenke und zerrte sie so ruckartig über meinen Kopf, dass mir ein stechender Schmerz durch die Arme schoss. Er war schnell, genau wie ich es von der Revision in Erinnerung hatte. Nun drängte er mich an einen Schrank und presste sich mit dem ganzen Körper an mich. Er trug seine Übermacht wie ein kostspieliges Parfüm.
Zorn erfüllte mich. Niemand rührte mich ohne meine Einwilligung an. Nicht mehr.
Ich wollte ihm die Stirn bieten.
Sicher, er war größer und stärker als ich. Vermutlich würde er am Ende gewinnen. Aber ich konnte ihm wenigstens ein paar ordentliche Hiebe verpassen. Besonders wenn ich mir gestattete, richtig wütend zu werden.
Nicht zu fassen, dass ich so denken konnte. Wie Chase. Ich verlor offensichtlich den Verstand.
Sein Gesicht war nahe an meinem. So nahe, dass ich seinen Atem auf den Lippen spüren konnte. Seine grünen Augen strahlten vor Verlangen, doch es sah ganz anders aus als alles, was ich kannte. Chase hatte mich studiert, hatte versucht, meine Gefühle zu ergründen. Tucker wollte nur sein eigenes Spiegelbild sehen.
Das war in vielfacher Hinsicht ziemlich beunruhigend.
»Zurück oder ich schreie.«
Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass Tucker sich nicht leisten konnte, mit einer Insassin erwischt zu werden, einer, die Reformschulmüll war, noch dazu. Und ich hatte nicht vor, noch einen Schritt weiterzugehen, solange ich nicht sicher war, dass er seinen Teil des Handels erfüllen würde.
»Och«, seufzte er leise. »Hätte nicht gedacht, dass du so unanständig bist.«
»Sir?« Delilah steckte den Kopf zur Tür herein. »Oh!« Sie lief rot an und senkte hastig den Blick. Ruckartig ließ Tucker meine Arme los.
»Was willst du?«, knurrte er.
»Es tut mir leid, Sir. Ich wollte nur nach Hause gehen und war nicht sicher, ob ich morgen wieder mit Ms Miller arbeiten soll.« Das alles sprudelte in einem einzigen Atemzug aus ihr hervor, so unverkennbar aufgewühlt war sie, und ich selbst konnte mich einer gewissen Verlegenheit auch nicht erwehren. Ganz bestimmt wollte ich nicht, dass irgendjemand auf den Gedanken kam, ich hätte ihn zu diesem Vorstoß ermutigt.
»Ja, morgen läuft es genauso wie heute«, sagte Tucker, ehe sich seine Lippen langsam zu einem Lächeln verzogen. »Und, Delilah? Etwas Diskretion bitte. Du hast so hart gearbeitet, ich würde dich wirklich ungern verlieren.«
Delilah sah aus, als wollte sie im Boden versinken. Wir wussten beide, dass Tucker feuern meinte, wenn er verlieren sagte.
Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Beinahe hätte ich Delilah umgestoßen, als der diensthabende Soldat auf seiner Runde vorbeikam und ich zur Tür stürzte. Der Mann nickte Tucker kurz zu. Tucker erwiderte die Geste, folgte mir auf den Flur und schloss die Bürotür hinter sich.
Ohne ein weiteres Wort sperrte er mich in meine Zelle ein.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Schaudernd starrte ich in die Finsternis. Tucker hatte mir in all seiner unendlichen Güte ein schäbiges altes Handtuch und eine Decke gegeben, ein Machtspiel, mit dem er mir zeigen wollte, dass er mir sogar in dieser Todesfalle ein wenig Komfort ermöglichen konnte. Was für ein wohltätiger Kerkermeister.
Ich riss das dünne Handtuch in Fetzen und rührte die Decke nicht an.
Auf dem Bett stehend konnte ich durch das hohe, vergitterte Fenster auf den Stützpunkt hinausschauen. Draußen herrschte absolute Stille. Nur vereinzelte Wachmänner zogen ihre Bahnen über die betonierten Wege. Ich nahm an, dass es außer Delilah noch andere Zivilisten gab, die auf dem Stützpunkt arbeiteten, aber sie mussten sich offensichtlich trotzdem an die Ausgangssperre halten. Selbst wenn ich jetzt hinaus könnte, käme ein Fluchtversuch bei Nacht einem Selbstmord gleich.
Ich glitt an der Wand herab, zog die Knie an die Brust und pustete auf meine Handgelenke, an denen immer noch rote Flecken von Tuckers hartem Griff zu sehen waren.
Ohne Vorwarnung traten mir die Tränen in die Augen.
»Nein«, sagte ich laut. Würde ich auch nur eine Träne vergießen, würde sich gleich die nächste anschließen. Und noch eine und noch eine. Schwäche konnte ich mir nicht erlauben. Ich musste den Widerstand unterstützen. Außerdem würde ich meiner Mutter keine Ehre
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