Arto Ratamo 7: Der Finne
Ketonen holte in einem Bierglas Wasser aus der Küche, stellte es auf Ratamos Nachttisch und zerrte die Gardinen am Schlafzimmerfenster auf. »Ich habe Arbeit für dich.Wollen wir nicht Mittag essen gehen, ins ›Sikala‹, dann erkläre ich dir die ganze Geschichte. Ich lade dich ein«, sagte Ketonen großspurig und schob die Hände unter die Hosenträger über seinem gewaltigen Bauch.
Ratamo trank das Wasserglas in einem Zuge aus. Er wischte sich die Mundwinkel ab, konnte nun auch das andere Auge öffnen und musterte den Exchef der Sicherheitspolizei wie den Patienten einer geschlossenen Abteilung. »Du brauchst gar nicht noch mehr zu erzählen. Das ist meine erste Urlaubswoche seit Jahren, in der ich mal allein bin, und es gibt nichts und niemanden auf der Welt, der sie unterbrechen könnte. Und du bist außerdem Rentner.«
Er stand ächzend auf, zog den Bademantel an, rieb sich die Schläfen und schlurfte in die Küche. Im Kopf rauschte es fürchterlich, vermutlich streifte sein Blutdruck schon am Morgen die Risikogrenze. Er schob sich eine Tablette Diurex in den Mund und spülte sie mit Wasser hinunter. Verglichen mit seinen normalen Nächten hatte er so lange geschlafen wie ein Fürst, aber der chemische Schlaf war nicht wirklich erholsam.
Es ärgerte ihn, dass es Ketonen schon gelungen war, seine Neugier zu wecken. Jussi würde nie jemanden zum Essen einladen, wenn nicht irgendetwas Wichtiges im Gange war. Der Mann war knausriger als ein Spielautomat.
Ketonen kam zu Ratamo in die Küche und fuhr sich verlegen durch die grauen Haare. »Nun reg dich mal nicht gleich auf. Der Begriff Arbeit war schlecht gewählt, es geht eher um eine Urlaubsreise. Eine kostenlose Fahrt nach Lappland«, sagte er beruhigend und hob dabei Kleidungsstücke auf, die auf dem Fußboden herumlagen.
Ratamos Interesse wurde immer stärker, aber ein Magenkrampf zwang ihn, sich hinzusetzen. Er fühlte sich plötzlich so schwach, dass er zum äußersten Mittel greifenmusste – zur »Auferstehung«. Er mixte aus zwei Eiern, Chilipaste Sambal Oelek und Ingwerpulver eine Brühe mit einem stechenden Geruch, holte ein paarmal tief Luft und kippte die ganze Mixtur auf einmal hinunter. Das Zaubergetränk wirkte fast sofort, sein Blut kam so in Wallung, dass es in den Ohren dröhnte, und der Puls hämmerte sogar in den Augen.
»Dieses Wunder, dass du mich zum Mittagessen einlädst, darf ich mir nicht entgehen lassen«, ächzte Ratamo und nahm seine zerknitterten Jeans vom Stuhl. Wenig später gingen die beiden Männer im Sonnenschein am Park Vuorimiehenpuistikko vorbei zum Restaurant »Seahorse«, bekannt auch als »Sikala«.
Die an die Stirnwand des Restaurants gemalten schwarzen Seepferdchen begrüßten die beiden neuen Gäste ebenso wie der vertraute Portier. Das Restaurant war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Leuten, die zu Mittag aßen. Es dauerte einen Augenblick, bis Ratamo einen separaten Tisch entdeckte, an dem sich eine Gruppe redseliger Männer in Schlips und Kragen gerade zum Aufbruch rüstete.
»Woche dreiunddreißig, Montag«, las Ketonen feierlich aus der Tageskarte mit den günstigen Angeboten vor: »Hack braten mit Kartoffelbrei, Hähnchenschnitzel mit Chili-Paprika-Gemüse oder gebratene Strömlinge.«
»Wollen wir nicht doch lieber à la carte bestellen, wenn du schon mal zum Essen einlädst?«, sagte Ratamo und genoss Ketonens erschrockene Miene. »Ich werde wohl als Vorspeise ›Vorschmack‹ und als Hauptspeise gebratenen Zander nach der Art von Marschall Mannerheim nehmen.«
»Mach keine Scherze, Mensch, das sind ja die teuersten Gerichte auf der Karte. Solche Preise wird doch wohl niemand aus eigener Tasche bezahlen«, erwiderte Ketonen, nahm Ratamo die à la carte-Speisekarte weg und drückte ihm dafür die Tageskarte in die Hand.
»Ich bezahle es ja auch nicht aus eigener Tasche, da du mich doch einlädst«, sagte Ratamo, winkte den Kellner heran und gab seine Bestellung auf. Ketonen schüttelte den Kopf und entschied sich für die gebratenen Strömlinge und ein großes Glas fette Buttermilch.
Es vergingen ein paar Minuten, in denen Ketonen Ratamo grimmig anschaute und mit ungläubigem Gesichtsausdruck die exklusive Speisekarte in der Hand drehte. Er beruhigte sich erst, als die riesige Portion Strömlinge serviert wurde.
Ketonen angelte sich mit der Gabel einen Fisch, schaufelte einen Berg Kartoffelbrei darauf und jonglierte die Portion in den Mund. »Der in England lebende Sohn meines alten Bekannten
Weitere Kostenlose Bücher