Arto Ratamo 7: Der Finne
das wissen? Aber die Helsinkier Kriminalpolizei ermittelt in der Angelegenheit, und du brauchst dich nicht darum zu kümmern. Wie ich gehört habe, weist nichts darauf hin, dass Ottos Verschwinden und der Tod dieser Schwester miteinander zusammenhängen.«
»Natürlich hängen die miteinander zusammen, zum Teufel noch mal. Jemand wird umgebracht, und der andere verschwindet, und das am selben Tag …«
Ketonen klopfte mit dem Knöchel auf den Tisch. »Otto Forsman ist blind. Es dürfte ziemlich unwahrscheinlich sein, dass Otto die Frau umgebracht hat, indem er mit einem Messer nach ihr geworfen und sie am Hals getroffen hat. Und du kannst ja jederzeit jemand von der SUPO bitten, in der Angelegenheit ein wenig nachzuforschen, wenn du mir nicht glaubst.«
Der Kellner brachte den Kaffee, und Ratamo beobachtete mit einem Lächeln Ketonen, der die zusammengefaltete Rechnung ganz langsam wie ein Pokerfuchs öffnete. Als er die Endsumme erblickte, wurde sein Gesichtsausdruck mürrisch.
»Versuche jetzt erst mal einen klaren Kopf zu bekommen, und denk ein paar Stunden über den Vorschlag nach. Und vergiss nicht, dass ich dir seinerzeit auch ziemlich oft einen Gefallen getan habe. Ich gehe inzwischen ein paar Dinge erledigen.« Ketonen legte das genau abgezählte Geld auf die Rechnung und machte dabei ein Gesicht, als würde er einem Erpresser Zinsen zahlen.
Ratamo suchte in seinen Hosentaschen und stellte fest, dass er die Nikotinkaugummis zu Hause vergessen hatte. »Ich muss doch wohl nicht heute schon dahin fahren?«
»Nein, aber morgen.«
Das Porzellan klirrte, als Ratamo seine Kaffeetasse absetzte. »Ich denke darüber nach«, sagte er zu Ketonen, der aufstand.
Ratamo fühlte sich schon ein wenig besser, und Ketonens Vorschlag sah er nun auch positiver. Ossi Loponen hatte im Frühjahr in der Kaffeestube der SUPO dann und wann geprahlt, was er bei seiner Angeltour in der Gegend von Murmansk alles gefangen hatte. Und Himoaalto hatte nacheiner Kanu-Tour und Vogelbeobachtungen am Ladogasee im letzten Sommer den See und die Landschaft gepriesen. Außerdem war er Ketonen ja tatsächlich einen Gefallen schuldig, genauer gesagt mehrere. Jussi hatte ihn seinerzeit bei der SUPO eingestellt und ihm, als es nötig war, Urlaub gegeben, damit er die Polizeischule und die Ausbildung für den gehobenen Dienst absolvieren konnte. Und er hatte ihn auch sonst in den schwierigen Anfangsjahren seiner Laufbahn unterstützt.
Jussi Ketonens Schritte wurden immer schneller, je näher er seiner Wohnung in der Jääkärinkatu kam. Das Gespräch mit Ratamo hatte irgendetwas im Labyrinth seines Gedächtnisses in Gang gesetzt, etwas, das mit Otto Forsman zusammenhing. Ein Schwarm Möwen schrie am Himmel, der Straßenstaub kitzelte in der Nase, das kurzärmlige Hemd klebte auf der Haut, und die Hosenträger scheuerten auf seinem Bauch.
Schnaufend öffnete er die Wohnungstür in dem mehrstöckigen Haus und streifte seine Schuhe im Flur ab. Er ging in sein Arbeitszimmer, holte ein Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete das Schloss eines Metallschranks mit Schubkästen. Wo sollte er anfangen? Ketonen dachte angestrengt nach, in einem Winkel seines Gedächtnisses schwirrte irgendein Informationssplitter herum und schien schon greifbar nah. Es hing mit seinen Jahren in der Zentrale der Kriminalpolizei oder mit der ersten Zeit bei der SUPO zusammen …
Plötzlich ertönte ein Freudenschrei im Arbeitszimmer, ihm war eingefallen, worum es sich handelte. Er zog das oberste Schubfach auf und fuhr mit dem Finger über die Rücken der Hängeordner, bis er einen Zettel fand, auf dem zu lesen war: »Notizen. 1973.«
»Präsident Kekkonen traf den Referenten Otto Forsman aus dem
Innenministerium zweimal, bevor er nach Moskau reiste, um mit Generalsekretär Leonid Breschnew über die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen Finnland und der EWG zu verhandeln.«
Jetzt erinnerte sich Ketonen wieder. Wie hatte er das bloß vergessen können? In den siebziger Jahren waren Gerüchte im Umlauf gewesen, wonach Kekkonen Otto Forsman bei einigen speziellen Fragen im Zusammenhang mit der Sowjetunion als inoffiziellen Berater einbezogen hatte.
6
Helsinki, Montag, 7. August
Auf dem Weg zur Mannerheimintie schlängelte sich Eerik Sutela durch das Gewimmel eiliger Fußgänger auf dem Narinkka-Platz am Kamppi-Center. Der groß gewachsene Mann behielt auch im Gedränge mühelos den Überblick. Wohnte er schon so lange in London? Einige Teile des
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