Arto Ratamo 7: Der Finne
Stunden gedauert. Nach dem starken Ohrensausen zu urteilen, musste sein Blutdruck an den Wolken kratzen. Allmählich hatte er ernsthaft die Nase voll von Otto Forsmans Phantasiegebilden und von Eerik Sutela, der vieles verheimlichte, ganz zu schweigen von den Streifzügen durch den Wald. Es war ungeheuer erleichternd, sich vorzustellen, dass er in zwei Tagen aufstehen konnte, wann er wollte, und essen, wenn er Hunger hatte, und dass er sich mit Geschichte nur dann beschäftigen musste, wenn er alte Zeitungen las. Ob er das alles mit Ilona und Nelli zusammen in Florenz oder nur mit Nelli in seinem Ferienhaus tun würde, das war noch nicht entschieden.
Sutela, der als Letzter ausstieg, schaute verstohlen zu Taru hin, die immer noch einen merkwürdig apathischen Eindruck machte. Vielleicht zehrte das Lügen an ihren Kräften. Es fiel ihm schwer, zu glauben, dass Taru in den Diensten der Russen stand. Noch gestern hatte er alle möglichen Hoffnungen gehegt und sich eingebildet, dass die Frau in ihn verliebt war. Warum musste ihm das immer passieren? Wäre er im Stande, die Hinweise in dem allerletzten Brief vor Taru zu verheimlichen?
Abends kurz vor halb elf trat das abgekämpfte und schmutzige Trio an den Bartresen im Foyerrestaurant des Hotels Kanava.
»Bekommt man bei Ihnen noch etwas zu essen?«, fragte Ratamo und befürchtete das Schlimmste. Sutela jammerte, er sei so hungrig, dass er gleich seine Schuhsohlen essen werde.
»Leider ist die Küche schon geschlossen, aber ich kann Ihnen etwas warm machen, wenn Sie möchten«, sagte derKellner freundlich und verschwand, als er erfahren hatte, dass ihnen alles recht wäre.
Ratamo und Otsamo starrten Sutela erwartungsvoll an, als sich alle drei an einen Tisch mit rotkarierter Decke gesetzt hatten.
»Na, nun lass uns das endlich auch lesen«, sagte Taru schon zum x-ten Mal. Sie hatte fürchterliche Angst um Paula und musste unbedingt erfahren, was in dem Brief stand.
Sutelas Gesichtsausdruck wurde angespannt, er öffnete schon den Mund, verkniff sich aber im letzten Augenblick seine giftige Bemerkung. Er reichte Taru den Brief, die ihn so hinlegte, dass auch Ratamo den Text sah.
Ich habe das Dokument versteckt
Der von Brümmer Geschlagene und die verlorene Kirche
FINNLAND, Kapitel
4. Das Ende des Fortsetzungskrieges
Die Sowjetunion begann den Fortsetzungskrieg gegen Finnland im Juni 1941, ein Jahr nachdem die Passagiermaschine Kaleva und mit ihr das »Schwert des Marschalls« nördlich von Tallinn in der Ostsee versunken waren. Der Kriegszustand erschwerte die Suche der Finnen nach dem Dokument noch mehr.
Anfang Juli 1944, während der strategischen Großoffensive der Sowjetunion und der Kämpfe von Tali-Ihantala, gelang es den Finnen endlich, das Wrack der Kaleva zu orten. Es lag 6,2 Kilometer nördlich der Leuchtturminsel Ker. Die Soldaten Kulomaa und Forsman wurden mit einer Tauchglocke in eine Tiefe von neunundachtzig Metern hinabgelassen, und am Morgen des 11. Juli 1944 fanden sie das »Schwert des Marschalls« im Wrack unter der Diplomatenpost.
Präsident Ryti teilte der Sowjetunion mit, das »Schwert des Marschalls« sei gefunden worden, daraufhin machte Stalin am 12. Juli durch Vermittlung schwedischer Diplomaten klar, dass
die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation, die er Finnland gestellt hatte, auf einem »Missverständnis« beruhe. Die Sowjetunion verzichtete auf ihre Forderung nach einer Kapitulation, und Mannerheim wurde informiert, wieder durch Vermittlung der Schweden, die Sowjetunion sei zu einem Waffenstillstand mit Finnland bereit, unter der Voraussetzung, dass von finnischer Seite Marschall Mannerheim das entsprechende Abkommen unterzeichnete. Am 1. August trat Ryti zurück, und Mannerheim übernahm am 4. August 1944 die Aufgaben eines Präsidenten. Der Marschall willigte in die Vertreibung der deutschen Truppen aus Lappland ein, und die Sowjetunion stimmte der Waffenruhe am 4. 9. 1944 zu. Der Fortsetzungskrieg zwischen der Sowjetunion und Finnland war zu Ende.
Sutela starrte den Brief ungläubig an. Sein Vater sollte auf den Grund der Ostsee getaucht sein und das »Schwert des Marschalls« aus fast neunzig Metern Tiefe heraufgeholt haben? Vor einer Woche hatte er ihn noch für den Inbegriff eines trockenen und langweiligen Beamten gehalten.
»Unglaublich«, sagte Taru Otsamo. »Der Fortsetzungskrieg endete durch das ›Schwert des Marschalls‹.«
»Das ist buchstäblich unglaublich. Vor allem, wenn dieser
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