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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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untersuchen.
     
    Wladimir II., der Patriarch von Moskau und ganz Russland, saß hinten in seinem gepanzerten Mercedes zwischen zwei Sicherheitsleuten des FSB. Die Ironie der Situation amüsierte ihn immer wieder: Der FSB schützte sein Leben, während er gleichzeitig alles dafür tat, die Kirche von der Allmacht des FSB zu befreien.
    »Vielleicht hätte ich Vater Peter mehr vom ›Opferbuch‹ erzählen sollen«, sagte der Patriarch zu Vikar Furow, der auf dem Vordersitz saß.
    »Das glaube ich nicht, Eure Heiligkeit. So einen jungen Idealisten würden dann nur überflüssige Gewissensbisse plagen. Wir erreichen übrigens das Büro in Kürze und könnennoch die laufenden Angelegenheiten erledigen, bevor wir den Präsidenten um …« Vikar Furow brach mitten im Satz ab, weil der Fahrer das Steuer herumriss, so dass der Wagen ein paar Mal heftig hin und her schwankte.
    Wütend befahl der Patriarch dem Fahrer, das Tempo zu drosseln. Seit einer seiner Chauffeure vor Jahren im Zentrum Moskaus vor der Christ-Erlöser-Kathedrale einen Unfall verursacht hatte, bei dem eine junge Frau verletzt worden war, bekam er jedes Mal Angst, wenn er in seinem Dienstwagen saß, der Millionen Rubel gekostet hatte.
    Als sich der Patriarch beruhigt hatte, überlegte er, wie der Kampf um die Herrschaft in Russland diesmal ausgehen mochte. Würden kommende Generationen seiner gedenken als großem Mann des Glaubens wie im Fall des heiligen Wladimir, der vor über tausend Jahren das Christentum nach Russland gebracht hatte, oder bliebe er im Gedächtnis der Menschen als Betrüger wie der falsche Mönch Grigori Rasputin. Oder vielleicht würde ihn das gleiche traurige Schicksal ereilen wie Vater Georgi Gapon am Anfang des letzten Jahrhunderts. Gapon hielt man seinerzeit für einen Handlanger der Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren, genau wie man ihn jetzt der Zusammenarbeit mit dem FSB verdächtigte. Der Patriarch kannte die offizielle Biographie seines Jugendhelden auswendig.
     
    Die Polizeibehörde von Sankt Petersburg stellte im Jahre 1903 fest, dass Georgi Gapon, der als Priester für Strafgefangene arbeitete, im Umgang mit Menschenmassen sehr geschickt war. Gapon machte sich Sorgen um die Lage der armen Arbeiterschaft und erhielt im Februar 1904 die Genehmigung, die »Versammlung der Russischen Fabrikarbeiter von Sankt Petersburg« zu gründen. Deren Ziel war es, das Nationalgefühl unter den Arbeitern zu festigen. Der Verband hatte Erfolg und wuchs rasch, Ende 1904 hatte er schon deutlich mehr Mitglieder als die politischen Parteien.
    Ende 1904 wurden vier Arbeiter der Putilow-Werke entlassen. Als Grund vermutete Gapon die Mitgliedschaft der Männer in seiner Vereinigung. Da man nicht bereit war, die Entlassungen zurückzunehmen, organisierte Gapon in den Putilow-Werken einen Streik, der sich innerhalb weniger Tage zum Generalstreik von über hunderttausend Arbeitern ausweitete. Gapons Vereinigung forderte den Acht-Stunden-Tag, das Verbot von Überstunden, die kostenlose Versorgung mit Medikamenten, besseren Lohn für die Frauen und die Lohnfortzahlung während eines Streiks. Die Behörden blieben beim Anwachsen der Unruhen nicht untätig: An den zentralen Punkten von Sankt Petersburg wurde Militär stationiert, vor allem im Bereich des Winterpalais und an den wichtigsten Straßenkreuzungen.
    Die Situation spitzte sich zu. Daraufhin beschloss Gapon, den Zaren um Unterstützung für die Ziele seiner Vereinigung zu bitten, damit die Lage sich entspannte. Die Arbeiter marschierten mit ihren Familien in Richtung Winterpalais und trugen Heiligenbilder, keine roten Fahnen, und sie waren unbewaffnet. Sie kamen an ihrem Ziel nie an: Schon am Narva-Tor eröffneten Einheiten des Militärs das Feuer auf die Massen. Gapons Wirken endete in einer Katastrophe, die man heute unter dem Namen »Blutsonntag« kennt. Weit über hundert Demonstranten starben, und dreihundert wurden verletzt.
    Nach dem Blutsonntag ging Gapon nach Genf und schloss sich der Partei der »Sozialrevolutionäre« an, die erfuhr, dass er Verbindung zum russischen Innenministerium hielt. Die Partei brandmarkte Gapon automatisch als Handlanger der Ochrana und ordnete seine Erschießung an. Gapon wurde 1906 in Finnland hingerichtet.
     
    Ein melancholisches Lächeln lag auf dem Gesicht des Patriarchen. Nur das »Opferbuch« kannte die Wahrheit. Im Dezember 1904 hatte der Vorsitzende des Heiligen Synods, der Metropolit Wladimir, Gapon vom »Opferbuch« erzählt, umdem einflussreichen

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