Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Gofannon«, schrie er in den Seewind hinaus, während er die breite Klinge zog, »komm!« Damit rammte er das Schwert mit aller Kraft in den Boden.
Eine Möwe schrie im Wind, das Meer sog an den Felsen, wenn es in seine Tiefen zurückwich, und der salzige Wind blähte unsere Mäntel, aber kein Gott erschien. »Die Götter mögen mir helfen«, sagte Arthur schließlich und starrte auf die schwankende Klinge hinab, »aber wie gern hätte ich dieses fette Ungeheuer getötet!«
»Warum habt Ihr es dann nicht getan?« fragte ich hart. Er schwieg eine Weile, und ich sah, daß ihm Tränen über die schmalen, hohlen Wangen liefen. »Ich habe ihnen den Tod angeboten, Derfel«, sagte er. »Schnell und schmerzlos.« Mit den Fäusten rieb er sich die Wangen und trat dann in einem plötzlichen Wutanfall heftig gegen das Schwert. »Götter!« Er spie auf die bebende Klinge. »Welche Götter?«
Ich zog Excalibur aus dem Boden und wischte die Erde von seiner Spitze. Da Arthur das Schwert nicht zurücknehmen wollte, legte ich es ehrfurchtsvoll auf einen grauen Felsblock.
»Was wird mit ihnen geschehen, Lord?« erkundigte ich mich besorgt.
Er ließ sich auf einem anderen Stein nieder. Eine Weile antwortete er nicht, sondern starrte zu dem Regen auf dem fernen Meer hinüber, während ihm Tränen die Wangen hinabliefen. »Ich habe mein Leben lang den Eiden entsprechend gelebt, Derfel«, sagte er schließlich. »Für mich gab es keine andere Möglichkeit. Ich hasse Eide, und das sollten alle Männer tun, denn Eide binden uns, sie legen unserer Freiheit Fesseln an, und wer unter uns will nicht frei sein? Aber wenn wir keine Eide mehr schwören, verzichten wir auf Führung. Wir stürzen ins Chaos. Wir fallen. Und sind nur noch Tiere.« Plötzlich konnte er nicht weitersprechen, sondern weinte nur noch.
Ich starrte auf die graue Dünung der See. Wo, fragte ich mich, beginnen diese großen Wogen, und wo enden sie? »Und wenn der Eid nun ein Fehler ist?« wandte ich ein.
»Ein Fehler?« Er sah mich an und blickte dann wieder aufs Meer hinaus. »Manchmal«, sagte er traurig, »kann ein Eid nicht gehalten werden. Ich konnte Bans Königreich nicht retten, obwohl die Götter wissen, daß ich’s versucht habe, aber es war unmöglich. Deswegen habe ich jenen Eid gebrochen und werde dafür bezahlen müssen. Aber ich habe ihn nicht mutwillig gebrochen. Aelle werde ich noch töten müssen, diesen Eid muß ich halten, aber noch habe ich ihn nicht gebrochen, sondern nur aufgeschoben. Ich habe versprochen, Diwrnach Henis Wyren wieder abzunehmen, und das werde ich auch tun. Mag sein, daß jener Eid ein Fehler war, aber ich habe ihn nun mal geschworen. Da habt Ihr Eure Antwort: Wenn ein Eid sich als Fehler erweist, ist man dennoch daran gebunden, weil man ihn geschworen hat.« Er wischte sich die Wangen. »Also werde ich eines Tages meine Speere gegen Diwrnach führen müssen.«
»Mark seid Ihr nicht eidlich verpflichtet«, stellte ich verbittert fest.
»Nein«, räumte er ein, »aber Tristan ist es, und Iseult ist es.«
»Haben deren Eide etwas mit uns zu tun?« fragte ich ihn. Er starrte auf sein Schwert hinab. Die graue Klinge war mit einem Muster aus verschlungenen Wirbeln und züngelnden Drachenköpfen verziert, in denen sich die fernen schiefergrauen Wolken spiegelten. »Ein Schwert und ein Stein«, sagte er leise und dachte dabei vielleicht an den Moment, da Mordred König werden würde. Unvermittelt erhob er sich, kehrte dem Schwert den Rücken und starrte landeinwärts zu den grünen Hügeln hinüber. »Angenommen«, sagte er dann zu mir, »zwei Eide stehen miteinander im Widerspruch. Angenommen, ich habe geschworen, für Euch zu kämpfen, und ich habe geschworen, für Euren Feind zu kämpfen. Welchen Eid muß ich halten?«
»Denjenigen, der zuerst abgelegt wurde.« Ich kannte das Gesetz genausogut wie er.
»Und wenn sie beide gleichzeitig abgelegt wurden?«
»Dann beugt Ihr Euch dem Richterspruch des Königs.«
»Warum des Königs?« Er fragte mich ab, als wäre ich ein junger Speerkämpfer, den er Dumnonias Gesetze lehren müsse.
»Weil der Eid, den Ihr dem König geschworen habt, über allen anderen Eiden steht und Ihr ihm verpflichtet seid«, antwortete ich gehorsam.
»Dann ist der König also der Hüter unserer Eide«, gab er betont zurück, »und ohne König gäbe es nichts als ein Gewirr einander widersprechender Eide. Ohne König gibt es nur Chaos. Alle Eide führen zum König, all unsere Pflichten liegen beim König, und
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