Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
ihm vor die Füße. »Ihr habt Mark benachrichtigt, nicht wahr?« warf ich ihm vor. Er nickte. »Ja. Ich habe ihm von Isca aus einen Boten geschickt.«
»Tristan ist unser Freund!« schrie ich ihn an.
Er schloß die Augen. »Er hat einen König bestohlen«, wiederholte er trotzig. »Er hat sein Gold, seine Gemahlin und seinen Stolz geraubt. Er hat Eide gebrochen. Sein Vater sucht Gerechtigkeit, und ich habe mich der Gerechtigkeit verschworen.«
»Er ist Euer Freund«, beharrte ich. »Und der meine!«
Er öffnete die Augen und starrte mich an. »Ein König kommt zu mir, Derfel, und verlangt Gerechtigkeit. Soll ich Mark Gerechtigkeit verweigern, weil er alt, fett und häßlich ist?
Haben Jugend und Schönheit korrumpierte Gerechtigkeit verdient? Wofür habe ich all diese Jahre gekämpft, wenn nicht dafür, daß die Gerechtigkeit überall gleich ausgeteilt wird?«
Jetzt sprach er fast bittend. »Auf der Reise hierher, als wir durch all diese Dörfer und Städte kamen – sind die Menschen etwa davongelaufen, als sie unsere Schwerter sahen? Nein!
Und warum nicht? Weil sie wissen, daß in Mordreds Königreich Gerechtigkeit herrscht. Und weil ein Mann der Gemahlin seines Vaters beiliegt, soll ich diese Gerechtigkeit abwerfen wie eine lästige Bürde?«
»Ja«, sagte ich, »weil er ein Freund ist und weil er, wenn Ihr ihn zwingt, sich dem Gericht zu stellen, für schuldig befunden wird. Die beiden haben vor Gericht keine Chance«, warf ich ihm bitter vor, »weil Mark ein Sprechender ist.«
Bei der Erinnerung, die ich absichtlich heraufbeschworen hatte, lächelte Arthur traurig. Es war die Erinnerung an unsere erste Begegnung mit Tristan, und auch jene Begegnung hatte einen rechtlichen Hintergrund gehabt. Damals wäre fast ein großes Unrecht geschehen, weil der Beschuldigte ein Sprechender war. Nach unserem Gesetz war das Zeugnis eines Sprechenden unwiderlegbar. Tausend Personen konnten das Gegenteil beschwören, aber ihr Zeugnis galt nichts, wenn es von einem Lord bestritten wurde, von einem Druiden, einem Priester, einem Vater, der von seinen Kindern sprach, einem Schenker, der von seinen Geschenken sprach, einer Jungfrau, die von ihrer Jungfernschaft sprach, einem Hirten, der von seinen Tieren sprach, oder einem Verurteilten, der seine letzten Worte sprach. Mark war ein Lord, ein König, daher wog sein Wort schwerer als das eines Prinzen und einer Königin. Kein Gericht in ganz Britannien würde Tristan und Iseult freisprechen, das wußte Arthur. Aber Arthur hatte geschworen, das Gesetz zu befolgen.
An jenem fernen Tag jedoch, als Owain die Gerechtigkeit fast pervertiert hätte, indem er sein Privileg als Sprechender in Anspruch nahm, um eine Lüge vorzubringen, hatte sich Arthur an das Gericht des Schwertes gewandt. Für Tristan hatte Arthur persönlich mit Owain gekämpft und ihn besiegt. »Tristan«, sagte ich nun zu Arthur, »könnte das Gericht des Schwertes anrufen.«
»Dieses Privileg steht ihm zu«, gab Arthur zurück.
»Und ich bin sein Freund«, erklärte ich kalt, »und kann für ihn kämpfen.«
Arthur starrte mich an, als ginge ihm erst jetzt das ganze Ausmaß meiner Feindseligkeit auf. »Ihr, Derfel?« fragte er mich.
»Ich werde für Tristan kämpfen«, bestätigte ich eisig, »weil er mein Freund ist. Wie Ihr es ebenfalls einmal wart.«
Einige Herzschläge lang schwieg er. »Das ist Euer Privileg«, sagte er schließlich, »aber ich habe meine Pflicht getan.«
Damit ging er davon. Ich folgte ihm in zehn Schritt Abstand. Wenn er langsamer wurde, wurde auch ich langsamer, und als er sich zu mir umdrehte, wandte ich mich von ihm ab. Ich war bereit, für einen Freund zu kämpfen.
Arthur befahl Culhwchs Speerkämpfern barsch, Tristan und Iseult nach Isca zu eskortieren. Dort, erklärte er, werde die Gerichtsverhandlung stattfinden. König Mark werde den einen Richter stellen, wir Dumnonier den anderen.
König Mark saß schweigend in seinem Sessel. Er hatte verlangt, daß die Gerichtsverhandlung in Kernow stattfinden solle, obwohl er gewußt haben muß, daß das im Grunde unerheblich war. Tristan würde sich keiner Verhandlung stellen, denn Tristan würde eine Verhandlung nicht überleben. Tristan konnte sich nur noch an das Schwert wenden. Der Prinz kam an die Tür der Halle und trat vor seinen Vater. Marks Miene zeigte keine Regung. Tristan war bleich, und Arthur stand mit gesenktem Kopf, so daß er keinen der beiden Männer ansehen mußte.
Tristan trug keine Rüstung und keinen Schild.
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