Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
produzierte weitaus mehr Qualm als Hitze. Nimue fuhr fort, in ihrem Kessel zu rühren, fand endlich, was sie suchte, und hebelte es aus der Suppe heraus. Ich erkannte einen menschlichen Schädel. »Erinnerst du dich an Balise?« fragte mich Nimue.
»Selbstverständlich«, antwortete ich. Balise war ein Druide gewesen, ein alter Mann, als ich noch jung war, und inzwischen schon lange tot.
»Seinen Körper haben sie verbrannt«, erklärte mir Nimue,
»den Kopf aber nicht. Und der Kopf eines Druiden, Derfel, birgt eine ungeheure Macht. Letzte Woche hat ihn mir ein Mann gebracht. Er hatte ihn in einem Faß Bienenwachs verborgen. Ich habe ihn gekauft.«
Das bedeutete, daß ich den Kopf gekauft hatte. Nimue kaufte ständig Gegenstände, denen kultische Macht innewohnte: die Glückshaube eines toten Kindes, einen Drachenzahn, ein Stück des Zauberbrotes der Christen, Donnerkeile und nun einen Totenschädel. Sie pflegte in den Palast zu kommen und von mir das Geld für dieses wertlose Zeug zu verlangen; ich aber fand es einfacher, ihr ein wenig Gold dazulassen, selbst wenn das bedeutete, daß sie das kostbare Metall für jedwede Rarität verschwendete, die man ihr gerade anbot. Einmal bezahlte sie einen ganzen Goldbarren für den Kadaver eines Lammes, das mit zwei Köpfen geboren war, nagelte den Kadaver dort an die Palisade, wo er auf den Christenschrein hinabblickte und ließ
ihn dort hängen, bis er verfaulte. Ich mochte nicht fragen, was sie für ein Faß Bienenwachs mit dem Kopf eines toten Mannes bezahlt hatte. »Ich habe das Wachs entfernt«, erklärte sie mir,
»und in dem Kessel das Fleisch vom Schädel gekocht.« Das erklärte den unerträglichen Gestank in der Hütte wenigstens teilweise. »Es gibt kein wirksameres Omen als den Kopf eines Druiden, mit den zehn braunen Kräutern von Crom Dubh in einem Topf Urin gekocht«, behauptete sie, während ihr eines Auge im Dunkel der Hütte glänzte. Dann ließ sie den Schädel wieder in die dunkle Flüssigkeit sinken. »Und jetzt warte!«
befahl sie mir.
Mir schwirrte der Kopf von Qualm und Gestank, aber ich wartete gehorsam, bis die Oberfläche der Flüssigkeit zu zittern und zu glitzern begann und sich schließlich wieder beruhigte, bis nichts mehr zu sehen war als ein dunkler Schimmer, glatt wie ein kostbarer Spiegel. Von der dunklen Fläche stieg nur noch ein Hauch von Dampf auf. Nimue beugte sich darüber und hielt den Atem an. Und da wußte ich, daß sie im Spiegel der Flüssigkeit Vorzeichen sah. Der Mann auf dem Strohsack hustete ganz schauerlich und tastete nach einer fadenscheinigen Decke, um seine Blöße zu bedecken. »Ich habe Hunger«, jammerte er. Nimue beachtete ihn nicht.
Ich wartete. »Du enttäuschst mich, Derfel«, sagte Nimue plötzlich, und ihr Atem kräuselte die Oberfläche der Flüssigkeit nur leicht.
»Wieso?«
»Ich sehe eine Königin, die an einer Küste verbrannt wurde. Ich hätte zu gern ihre Asche gehabt, Derfel«, setzte sie vorwurfsvoll hinzu. »Die Asche einer Königin hätte ich wahrlich gut gebrauchen können, und du hättest das wissen müssen.« Dann schwieg sie, und ich sagte auch nichts. Die Flüssigkeit kam wieder gänzlich zur Ruhe, und als Nimue dann zu sprechen begann, tat sie es mit einer fremden, tiefen Stimme, die die schwarze Flüssigkeit überhaupt nicht kräuselte. »Zwei Könige kommen nach Cadarn«, sagte sie,
»aber regieren wird dort ein Mann, der kein König ist. Die Toten werden sich vermählen, die Verlorenen werden ans Licht kommen, und ein Schwert wird an den Hals eines Kindes gelegt.« Dann stieß sie einen so gräßlichen Schrei aus, daß der nackte Mann hochschreckte und hektisch in den hintersten Winkel der Hütte flüchtete, wo er sich niederkauerte und den Kopf mit beiden Händen bedeckte. »Sag das Merlin«, bat mich Nimue mit ihrer normalen Stimme. »Er wird wissen, was es bedeutet.«
»Ich werde ihm die Nachricht überbringen«, versicherte ich ihr.
»Und sag ihm«, fuhr sie mit verzweifelter Inbrunst fort, während sie mit einer schmutzverkrusteten Klaue meine Hand umklammerte, »daß ich in der Flüssigkeit den Kessel gesehen habe. Sag ihm, daß er schon bald benutzt werden wird. Bald, Derfel! Sag ihm das!«
»Das werde ich«, gab ich zurück. Dann konnte ich den Gestank nicht länger ertragen. Ich riß mich von ihr los und floh rückwärts in den Schneeregen hinaus.
Sie folgte mir und griff nach einem Zipfel meines Mantels, um sich vor dem Schneeregen zu schützen. Als sie mit mir zu dem
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