Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
durchorganisierter wurde. Die alten Götter, dachte ich, verloren Britannien immer schneller. Sansum wartete natürlich verzweifelt darauf, daß
Merlin starb, damit er den Tor für sich beanspruchen und auf seinem feuergeschwärzten Gipfel eine Kirche errichten konnte; aber Sansum hatte keine Ahnung davon, daß Merlin seinen gesamten Grundbesitz mir vermacht hatte.
Mordred, der am Grab seiner Mutter stand, staunte über die Ähnlichkeit der Namen meiner ältesten Tochter und seiner toten Mutter. Ich erklärte ihm, daß Ceinwyn Norwennas Cousine gewesen war. »Morwenna und Norwenna sind uralte powysische Namen«, ergänzte ich.
»Hat sie mich geliebt?« fragte Mordred, und dieses Wort aus seinem Mund ließ mich aufhorchen. Vielleicht, dachte ich, hat Arthur ja recht. Vielleicht wächst Mordred wirklich in seine Pflichten hinein. In all den Jahren, die wir uns nun kannten, hatten wir uns jedenfalls kein einziges Mal so höflich unterhalten.
»Sie hat Euch sehr geliebt«, beantwortete ich seine Frage wahrheitsgemäß. »Am glücklichsten habe ich Eure Mutter erlebt, wenn sie Euch in den Armen hielt«, fuhr ich fort. »Dort oben ist es geschehen.« Ich zeigte zu der schwarzen Narbe hinauf, wo Merlins Halle und sein Traumturm auf dem Tor gestanden hatten. Dort oben war Norwenna ermordet und Mordred aus ihren Armen gerissen worden. Damals war er ein Säugling gewesen, jünger sogar noch als ich selbst, als man mich meiner Mutter Erce entriß. Ob Erce noch lebte? Ich war noch immer nicht nach Siluria gereist, um sie zu suchen, und diese Unterlassung bereitete mir Schuldgefühle. Flüchtig berührte ich mein Eisenamulett.
»Wenn ich sterbe«, sagte Mordred, »möchte ich mit meiner Mutter in einem Grab liegen. Und ich werde mein Grabmal selber erbauen. Eine Gruft aus Stein«, verkündete er, »in der unsere Leichname auf einem Sockel ruhen.«
»Das müßt Ihr mit dem Bischof besprechen«, gab ich zurück.
»Ich bin überzeugt, daß er mit Freuden alles tun wird, um Euch zu helfen.« Solange er nicht für die Gruft bezahlen muß, dachte ich zynisch.
Ich wandte mich um, weil Sansum über den Grasboden herbeigeeilt kam. Er verneigte sich vor Mordred und hieß auch mich in seinem Heiligtum willkommen. »Ihr kommt hoffentlich, weil Ihr die Wahrheit sucht, Lord Derfel?«
»Ich komme, um jenen Schrein dort oben zu besuchen.«
Dabei deutete ich auf den Tor. »Aber mein Lord König hat etwas mit Euch zu besprechen.« Ich ließ die beiden allein und führte mein Pferd am Zügel zum Tor hinauf, dicht an der Gruppe der Christen vorbei, die Tag und Nacht am Fuß des Tor darum beteten, daß seine heidnischen Bewohner vertrieben wurden. Ich ließ ihre Beleidigungen über mich ergehen. Als ich den steilen Hang erklomm, entdeckte ich, daß die Wasserpforte aus ihrer letzten Angel gefallen war. Ich band mein Pferd im Innern dessen, was von der Palisade übriggeblieben war, an einen Pfosten, und trug das Bündel Kleider und Pelze hinein, das Ceinwyn gepackt hatte, damit die armen Leute, die Nimues Zuflucht teilten, in dieser bitteren Kälte nicht erfroren. Ich überreichte Nimue die Kleider, die sie achtlos in den Schnee fallen ließ. Dann zupfte sie mich am Ärmel und zog mich in ihre neue Hütte, die sie sich genau an der Stelle erbaut hatte, an der einst Merlins Traumturm gestanden hatte. In der Hütte stank so es ekelerregend, daß ich fast würgen mußte, sie aber war offenbar gefeit gegen den pestilenzartigen Gestank. Draußen war es eiskalt, und ein nasser Wind peitschte eisigen Schneeregen von Osten herüber, dennoch hätte ich lieber in der kalten Nässe gestanden, als die Luft in der stinkenden Hütte zu ertragen. »Sieh nur«, sagte sie stolz und zeigte mir einen Kessel – natürlich nicht den Kessel – sondern einen ganz gewöhnlichen, geflickten Eisenkessel, der an einem Dachbalken hing und mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Ebenfalls an den Dachbalken hingen Mistelzweige, ein Paar Fledermausflügel, abgestreifte Schlangenhäute, ein zerbrochenes Geweih und Bündel von Heilkräutern. So niedrig waren diese Balken, daß ich mich fast zur Erde bücken mußte, um die Hütte betreten zu können. Sie war von augenbeißendem Qualm erfüllt. Auf einem Strohsack in den fernen Schatten lag ein nackter Mann, der sich über meine Anwesenheit beschwerte.
»Schweig!« fauchte Nimue ihn an, nahm einen Stecken und stocherte damit in dem dunklen, dünnflüssigen Kesselinhalt, der über einem kleinen Feuer dampfte. Das Feuer
Weitere Kostenlose Bücher