Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Lady.«
Igraine wickelte sich den goldgeflochtenen Gürtel ihres Gewands um die Finger. »Aber bestand denn nicht genau darin die Magie des Kessels? Daß er Tote auferwecken konnte?«
»Das hat man uns erzählt.«
»Und daß Ceinwyn den Kessel fand, war doch auch Magie«, fuhr Igraine fort.
»Vielleicht«, räumte ich ein, »aber vielleicht war es auch nur der gesunde Menschenverstand. Merlin hatte viele Monate damit zugebracht, jede kleinste Erinnerung an Ynys Mon zu sammeln. Er wußte, wo die Druiden ihr heiliges Zentrum hatten, am Llyn Cerrig Bach, und Ceinwyn hat uns lediglich zum nächsten Ort geführt, an dem der Kessel sicher versteckt werden konnte. Allerdings hatte sie ihren Traum.«
»Aber Ihr auch«, wandte Igraine ein. »Auf dem Dolforwyn. Was war das, was Merlin Euch zu trinken gab?«
»Das gleiche, was Nimue Ceinwyn am Llyn Cerrig Bach zu trinken gab«, antwortete ich. »Vermutlich ein Gebräu aus Fliegenpilzen.«
»Aber die sind doch giftig!« rief Igraine entgeistert. Ich nickte. »Deswegen hatte ich auch Zuckungen und konnte nicht aufstehen.«
»Aber Ihr hättet sterben können!« rief sie protestierend. Ich schüttelte den Kopf. »An Fliegenpilzen stirbt kaum jemand, und außerdem war Nimue in diesen Dingen erfahren.«
Ich entschied, ihr nicht zu verraten, wie man jemandem den Fliegenpilz am sichersten beibringt: indem man dem Träumer einen Becher mit dem Urin des Zauberers zu trinken gibt, der zuvor etwas von dem Giftpilz gegessen hat. »Vielleicht hat sie auch Mutterkorn verwendet«, fuhr ich fort. »Aber ich glaube, daß es Fliegenpilze waren.«
Igraines Miene wurde finster, weil der heilige Sansum Bruder Maelgwyn befahl, mit seinen heidnischen Gesängen innezuhalten. Der Heilige ist in letzter Zeit reizbarer als sonst. Er hat beim Wasserlassen starke Schmerzen, möglicherweise wegen eines Steins. Wir beten für ihn.
»Und wie geht es weiter?« fragte Igraine, Sansums Schelte nicht beachtend.
»Wir gingen nach Hause«, antwortete ich. »Nach Powys zurück.«
»Und zu Arthur?« fragte sie eifrig.
»Auch zu Arthur«, bestätigte ich, denn dies ist seine Geschichte: die Geschichte unseres geliebten Kriegsherrn, unseres Gesetzgebers, unseres Arthur.
Der Frühling war wundervoll in Cwm Isaf – aber vielleicht ist es ja so, daß einem, wenn man verliebt ist, alle Dinge üppiger und strahlender erscheinen –, jedenfalls schien es mir, als wäre die Welt noch nie so voller Schlüsselblumen gewesen, so voller Bingelkraut, Glockenblumen und Veilchen, Lilien und dicken Kissen von Wiesenkerbel. Blaue Schmetterlinge betupften die Wiese, wo wir unter rosa blühenden Apfelbäumen große, dicht verflochtene Queckenbüschel aus der Erde zogen. Wendehälse sangen im Blütenmeer, am Bach fanden wir Uferläufer, und unter Cwm Isafs Reetdach baute eine Bachstelze ihr Nest. Wir hatten fünf Kälber, allesamt gesund, hungrig und sanftäugig, und Ceinwyn war schwanger. Nach der Rückkehr aus Ynys Mon hatte ich für uns beide Liebesringe angefertigt. Sie trugen ein eingeritztes Kreuz, aber es war nicht das Christenkreuz. Frauen, die ihre Jungfernschaft hinter sich gelassen hatten, trugen oft solche Ringe. Die meisten Frauen nahmen ein paar zusammengedrehte Strohhalme von ihren Liebhabern und trugen sie als Abzeichen; die Frauen der Speerkämpfer trugen gewöhnlich einen Kriegerring, in den ein Kreuz geritzt worden war, während die Damen von höchstem Rang fast niemals einen Ring trugen, weil sie das als vulgäres Symbol verachteten. Aber auch Männer trugen sie manchmal. Valerin, ein Häuptling aus Powys, hatte so einen Liebesring getragen, als er im Lugg Vale fiel. Valerin war Guineveres Verlobter gewesen, bevor sie Arthur kennenlernte.
Unsere Ringe waren beide Kriegerringe, geschmiedet aus einem sächsischen Streitaxtblatt, und bevor ich Merlin verließ, der nach Ynys Wydryn im Süden weiterreiste, brach ich heimlich ein Stückchen von den Verzierungen des Kessels ab; es handelte sich um einen winzigen goldenen Speer, den ein Krieger trug und der sich leicht entfernen ließ. Ich verwahrte das Gold in meinem Beutel, und sobald ich wieder in Cwm Isaf war, brachte ich das Bruchstück mitsamt den beiden Kriegerringen zu einem Metallverarbeiter dort und sah zu, wie er das Gold einschmolz und zu zwei Kreuzen formte, die er auf das Eisen schmiedete. Ich stand daneben, um mich zu vergewissern, daß er das Gold nicht mit fremdem Gold vertauschte. Ich überreichte Ceinwyn den einen Ring und trug den anderen
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