Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals (German Edition)
den Blick über die vielen Schleifen gleiten, die diese bei verschiedenen Reitturnieren gewonnen und fein säuberlich an der Wand über dem Schreibtisch aufgehängt hatte. »Er war meine letzte Hoffnung.«
»Ich möchte trotzdem noch einmal zu Ascalon«, sagte Muriel ernst. Sie hatte sich genau überlegt, was sie sagen wollte. Was sie unten am Tisch erzählt hatte, war die Wahrheit: Ascalon war ihr Freund. Aber sie wusste auch, dass sie es nicht nur behaupten, sondern auch beweisen musste.
»Kind, das ist …«
»Gar nicht gefährlich!«, fiel Muriel ihrer Mutter ins Wort. Sie hatte schon damit gerechnet, dass diese Bedenken anmelden würde, und sagte schnell: »Noch ist die Tür der Box nicht kaputt. Was soll schon passieren, wenn ich in der Boxengasse bleibe?« Sie blickte ihre Mutter eindringlich an. »Bitte, Mam! Du musst mir glauben. Du hast doch selbst gesehen, dass ich ihn streicheln konnte. Beruhigungsspritze hin oder her, es war spät am Abend. Wenn er die am Morgen bekommen hat, hat die doch schon längst nicht mehr gewirkt.«
»Das mag schon sein, aber Ascalon war auch sehr verwirrt und erschöpft«, gab ihre Mutter zu bedenken. »Du hörst ja selbst, wie er sich jetzt aufführt.«
»Mama!« Das Wort verwendet Muriel nur bei überaus wichtigen Anlässen. »Ich weiß, dass er mir nichts tun wird. Ich weiß es!«
»Ach, Muriel!« Renata Vollmer nahm den weißen Plüschhasen, der am Kopfende des Bettes saß, zur Hand, drehte ihn unschlüssig in den Händen und schwieg.
Muriel wartete voller Ungeduld. Dass ihre Mutter nicht sofort Nein gesagt hatte, machte ihr Hoffnung, aber noch war das Gespräch nicht zu Ende. Lange Zeit sagte keiner ein Wort. Dann wurde es Muriel zu dumm.
»Du kannst es mir glauben«, bekräftigte sie noch einmal ihre Worte. »Wirklich!«
»Also gut!« Ihre Mutter setzte den Stoffhasen so auf das Bett, dass ihm die Schlappohren vor die Augen hingen, und stand auf. »Komm mit. Wir gehen rüber.«
»Wirklich? Danke, Mam!« Muriel sprang auf und schloss ihre Mutter in die Arme.
»Schon gut, aber freu dich nicht zu früh.« Gerührt erwiderte Renata Vollmer die Umarmung ihrer Ältesten, wurde dann aber wieder ernst. »Es ist nur ein Versuch. Wenn es zu brenzlig wird, gehen wir wieder.«
»Keine Sorge!« Muriel war nicht ganz so zuversichtlich, wie ihre Worte glauben machen sollten, konnte es aber dennoch kaum erwarten, in den Stall zu kommen. »Hier!« Sie holte ein Pferdeleckerli aus der Westentasche hervor, zeigte es ihrer Mutter und fügte augenzwinkernd hinzu: »Du wirst sehen, Ascalon frisst mir aus der Hand!«
Keine fünf Minuten später standen sie vor der Tür des Patientenstalls. Es war dunkel, windig und kalt. Muriel fror. Der Wind fuhr durch ihr langes brünettes Haar und durchdrang mühelos die Maschen ihres Strickpullovers. In der Eile hatte sie ganz vergessen eine Jacke über den Pulli und die dünne Steppweste zu ziehen, aber sie dachte gar nicht daran, deshalb noch mal ins Haus zu laufen.
Im Patientenstall war es ruhig.
»Vielleicht hat er begriffen, dass es nichts nützt, gegen die Boxenwände zu treten«, raunte Muriel ihrer Mutter zu, die sich gerade anschickte, die Tür zu öffnen.
»Schön wär’s.« Ihre Mutter lächelte. »Aber ich fürchte …« Der eiserne Riegel des Tors fuhr mit einem lauten Klacken in die Höhe. Und als sei dies das Zeichen, auf das Ascalon nur gewartet hatte, begann der Wallach wieder zu randalieren. Die eisenbeschlagenen Hufe krachten gegen die Boxentür. Knirschendes und berstendes Holz ließ darauf schließen, dass er diese zudem auch mit den Zähnen bearbeitete.
»Willst du immer noch hinein?« Renata Vollmer sah ihre Tochter prüfend an. »Du musst nicht.«
»Ja!« Muriel straffte sich. Ascalon veranstaltete einen Lärm, als sei ein wütendes Ungeheuer im Stall gefangen.
»Also gut!« Vorsichtig öffnete ihre Mutter die Tür. »Aber ich gehe vor.«
Drinnen war es windstill und auch ein wenig wärmer als draußen. Es roch nach verschwitztem Fell, frischem Stroh und Pferdeäpfeln, aber Muriel hatte nur Augen für Ascalon.
Vorsichtig folgte sie ihrer Mutter entlang der Wand auf die Box zu, in der der Wallach untergebracht war. Er wandte ihnen das Hinterteil zu und trat mit den Hinterbeinen so kraftvoll gegen die Boxentür, dass feiner Staub von den Holzbalken unter der Decke rieselte. Doch obwohl er einen Höllenlärm veranstaltete, schien er zu spüren, dass er nicht mehr allein war. Ganz unvermittelt hielt er inne und
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