Ascalon – Das magische Pferd, Band 2: Ascalon – Das magische Pferd. Das Geheimnis der Maya (German Edition)
trat näher und musterte sie aufmerksam, nahm den Pfeil aber nicht von der Sehne.
Muriel zuckte zusammen. Wieder so eine Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Sie zögerte und wartete auf eine Eingebung, aber anders als zuvor bei dem Namen blieb diese diesmal aus.
»Woher?« Der Junge wich einen Schritt zurück, hob den Bogen und spannte die Sehne wieder fester. Die Drohung, die in der Geste lag, war unmissverständlich.
»Von … von da.« In ihrer Not hob Muriel den Arm und deutete einfach irgendwo in den Wald hinein.
»Aus Naranjo?«, fragte der Junge.
Muriel hatte den Namen noch nie gehört, nickte aber. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Wenn Naranjo in der Richtung lag, war die Stadt so gut wie jede andere.
Offenbar war es die richtige Wahl. Der Junge entspannte sich etwas, hielt den Bogen aber weiter auf sie gerichtet. »Was willst du hier?«, wollte er wissen.
»Ich … ich …« Wieder suchte Muriel verzweifelt nach Worten, doch diesmal war es der Junge selbst, der die Antwort gab.
»Großer Huracán*!«, rief er aus und senkte ruckartig den Bogen. »Verzeih, dass ich es nicht früher gesehen habe. Du bist sicher auf dem Weg zu den Priesterinnen.«
»Nun, ich …« Muriel wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Einerseits war sie froh, dass der Junge sie nicht mehr bedrohte, andererseits fragte sie sich, was sie wohl heraufbeschwor, wenn sie das Spiel mitspielte.
Der Junge starrte sie immer noch an. In seinem Gesicht wechselte der Ausdruck von Ehrfurcht mit dem der Angst, als wisse er nicht, ob er nun auf die Knie fallen oder davonlaufen sollte.
Die Situation war Muriel fast noch unangenehmer als zuvor. Es dauerte einige Herzschläge lang, bis ihr bewusst wurde, dass er nicht sie, sondern etwas an ihr anstarrte, das ihm offenbar großen Respekt einflößte – die Kette mit dem Opferdolch.
Muriel war erstaunt, dass sie die Kette immer noch um den Hals trug. Sie war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Schmuckstück zusammen mit ihrer Kleidung auf dem Ritt durch die Zeit verschwunden war, aber dem war nicht so. Die Kette war noch da, aber sie hatte sich verändert. Der silberne Opferdolch schimmerte jetzt golden und statt an der dünnen Silberkette hing er nun an einem Band aus geflochtenen Pflanzenfasern.
»Ich habe gehört, dass die Maya-Priesterinnen früher so einen Schmuck als Zeichen ihres Standes trugen.«
Die Worte ihres Vaters kamen ihr wieder in den Sinn und sie erschrak. Auf keinen Fall sollte der Junge glauben, dass sie Priesterin sei.
»Oh, nein. Nein«, beeilte sie sich zu erklären, während sie in Gedanken fieberhaft nach einer möglichst überzeugenden Geschichte suchte, die sie dem Jungen erzählen konnte. »Das ist nicht meine Kette … Ich meine, jetzt natürlich schon … Sie … sie gehörte meiner Mutter.«
»Ist deine Mutter Priesterin in Naranjo?«, fragte der Junge.
»Sie war es.« Muriel senkte die Stimme und den Blick und nickte. Sie war noch nie besonders gut darin gewesen, Ausreden zu erfinden, und vermied es, den Jungen anzusehen, damit er den Schwindel nicht bemerkte.
Der Junge wirkte betroffen. »Was ist mit ihr?«
»Sie … ist tot.« Die Worte kamen Muriel so schwer über die Lippen, dass es sich fast wie echte Trauer anhörte. »Sie … sie starb an … an … einem Fieber.« Einmal begonnen, fiel es ihr immer leichter, die Geschichte weiterzuspinnen.
»Dann bist du sicher auf dem Weg nach Tikal, zum Tempel der Priesterinnen«, hörte sie den Jungen so selbstverständlich sagen, als käme es häufig vor, dass junge Frauen allein durch den Dschungel in die Stadt reisten. Er nahm den Bogen wieder zur Hand, schulterte den Truthahn und fügte hinzu: »Ich habe das gleiche Ziel. Wenn du möchtest, zeige ich dir den kürzesten Weg dorthin.«
Muriel nickte. Ganz wohl war ihr dabei nicht, weil sie nicht wusste, was sie in Tikal erwartete. Andererseits war es immer noch besser, in Begleitung dorthin zu gehen, als allein durch den Dschungel zu irren.
»Wie heißt du?«, fragte sie den Jungen, nachdem sie ein paar Schritte schweigend nebeneinanderher gegangen waren.
»Mein Vater nannte mich Ah Hunahpu«, erwiderte der Junge nicht ohne Stolz. »Nach einem der beiden Helden, die im Pok-ta-Pok-Spiel* gegen die Götter kämpften. Er möchte, dass ich auch einmal so ein guter Spieler werde.«
»Lebst du in Tikal?«, fragte Muriel weiter, die sich nicht anmerken lassen wollte, dass ihr weder der Name noch das Spiel etwas sagten.
»Ich
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