Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Entschuldigungen, keine Erklärungen, das war sein Motto. Er war der zurückhaltendste Mensch, den ich je gekannt habe. Er ließ niemanden in sein Leben, weder meine Mutter noch mich. Es bringt überhaupt nichts, jetzt darüber zu jammern.« Die letzten Worte kamen mit Nachdruck; das Thema war abgeschlossen. Nach einem kurzen Moment der Stille fuhr er in verändertem Tonfall fort: »Und was machst du jetzt so mit dir und deiner Zeit, Kit?«
»Ich arbeite im Schichtdienst als Sprechstundenhilfe, in Cheltenham. Dort besitze ich ein kleines Haus. Ich verbringe eine Menge Zeit damit, hierher nach Weston St. Ambrose zu fahren und Petra oder meine Mutter zu besuchen. Du hast nicht vor, Mutter ebenfalls zu belästigen, oder?«
»Deine Mutter? Ich würde es nicht wagen.«
»Gut.«
Sie tranken schweigend ihren Kaffee leer. Angewidert schob Gervase seine leere Tasse von sich.
»Weißt du, Kit …«, begann er, doch dann hielt er inne und schnaubte. »Was für eine dämliche Redewendung das ist. Natürlich weißt du nicht, sonst würde ich es dir jetzt nicht erzählen. Letztes Jahr habe ich meine Mutter wiedergesehen, zum ersten Mal, seit sie mich verlassen hat, als ich zwölf Jahre alt war.«
»Du … du hast Amanda gesehen?« Kit glotzte ihn mit offenem Mund an. Sie versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen, doch es gelang ihr nicht. »Leibhaftig?«
»Natürlich leibhaftig, du Schwachkopf«, sagte Gervase. »Sie ist mir nicht in weißes Musselin gehüllt durch die Luft schwebend erschienen, während ich auf einem schlechten Trip war, falls du das andeuten willst.«
»Nein, nein. Ich meinte eines von diesen sozialen Netzwerken oder so«, beeilte sie sich zu sagen, während ihre Fassung allmählich zurückkehrte.
»Bestimmt nicht. Wo denkst du hin? In Portugal bin ich praktisch ein Einsiedler. Ich gehe den Leuten aus dem Weg, wann immer ich kann. Ich kenne kaum meine Nachbarn. Warum um alles in der Welt sollte ich mich vor einen Computer setzen und aller Welt meine intimsten Gedanken mitteilen, oder was ich zum Frühstück hatte? Nein, nein. Sie tauchte einfach auf, leibhaftig, wie du es nanntest … Gut, es war nicht mehr viel an ihr dran. Sie war dürr wie eine Vogelscheuche.«
»Sie war schon immer sehr schlank«, sagte Kit absichtlich unfreundlich.
»Kit! Hab Erbarmen. Schlank und elegant, so hätte sie es genannt. Wie dem auch sei, sie hat all die Jahre über in Kalifornien gelebt. Sie war erstaunlich gut in Form: durchtrainierte Muskeln, perfekte Bräune, nicht ein Haar daneben, dicke Klunker, lackierte Fuß- und Fingernägel. Sie hatte wieder geheiratet – zweimal. Ehemann Nummer drei war gerade erst verstorben. (Vater war Ehemann Nummer eins gewesen!) Jedenfalls, Ehemann Nummer drei hinterließ ihr ein hübsches Vermögen. Sie beschloss, Urlaub in Europa zu machen und ein wenig herumzureisen. Sie hatte ihre Anwälte beauftragt, nach mir zu suchen, und erfuhr, dass ich in Portugal lebe. Sie kam nach Lissabon und nahm Kontakt mit mir auf. Wir hatten ein sehr gesittetes Mittagessen in einem Fischrestaurant an der Küste. Wir ließen die Vergangenheit auf sich beruhen. Sie erzählte mir von ihrem Zuhause in Sacramento und ihren Reiseplänen in Europa. Ich erzählte ihr von meinem Haus und meinem Pferd. Nach dem Essen fuhr ich sie raus und zeigte ihr mein Haus. Danach waren wir am Strand von Guincho spazieren, allerdings nicht sehr lang. Sie bekam Sand in die Schuhe, und der Seewind zerzauste ihr die Haare. Außerdem ging uns der Gesprächsstoff allmählich aus. Ich brachte sie zurück nach Lissabon und zu ihrem Hotel, und das war es. Wir hatten seither keinen Kontakt mehr. Immer noch keine Weihnachtskarten und keine Telefonate. Ich denke, ihre Neugier war gestillt, und sie hat mich aus ihrem Leben gelöscht – wieder einmal. Sie ist vermutlich längst zurück in Kalifornien und eifrig auf der Jagd nach Ehemann Nummer vier.«
»Und wie hast du dich gefühlt, als du sie wiedergesehen hast?«, fragte Kit.
Gervase dachte darüber nach. »Ich glaube nicht, dass ich etwas gefühlt habe – oder nun fühle. Ich war ein wenig verblüfft, wenn überhaupt. Jetzt bin ich erleichtert, dass sie das Interesse wieder verloren hat. Ich glaube nicht, dass ich es fertiggebracht hätte, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Wie du und dein Ex – wir haben uns einfach nichts mehr zu sagen.«
Er sah sie an, und in seinem Blick lag plötzlich ein schalkhaftes Funkeln. »Ganz anders als du und ich, Kit! Wir waren nie an dem Punkt, wo wir
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