Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
weswegen sie hergekommen war. Sie fand die Stelle, nach der sie gesucht hatte, bückte sich und legte die mitgebrachten Blumen nieder. Hier drin war es noch düsterer als draußen, und die Blumen schienen im Boden zu versinken. Der Geruch nach Feuer überlagerte nach wie vor alles, auch den Duft der Blumen. Für Sarah war es der Gestank des Todes. Sie schlang die Arme um sich und krallte die Fingerspitzen in die raue Wolle ihres Wintermantels. Nicht, dass sie gefroren hätte, doch ihr war trostlos zumute. Die hellen Blüten auf dem geschwärzten Boden wirkten wie Hohn, nicht wie ein Zeichen der Liebe und des Respekts. Sie fühlte sich, als hätte das Feuer ihr Innerstes erfasst und alles herausgebrannt, was sie zu einem normal empfindenden menschlichen Wesen gemacht hatte. Matt war eine leblose Hülle auf diesem Boden gewesen. Sie war eine lebende Hülle. Sie ging der alltäglichen Routine nach, doch in ihr war nichts außer Leere.
Über ihrem Kopf knackte etwas, und sie blickte nach oben. Eine Wolke von Ruß- und Ascheteilchen regnete auf sie herab, und sie hustete und keuchte auf und wich zur Seite. Der kleine Zwischenfall veranlasste sie, sich erneut umzublicken und das Ausmaß des Schadens abzuschätzen. Nicht einmal Matt hätte diese Ruine wieder aufbauen können. Erneut erklang das Knacken, beinahe direkt über ihr und ein klein wenig seitlich. Sie sah nach oben, vorsichtiger diesmal, mit schützend über die Augen gelegter Hand. Sie konnte geradewegs zwischen den Balken hindurchsehen, welche den Fußboden der oberen Etage getragen hatten, bis hinauf zu den Dachsparren, die aussahen wie ein Gerippe, von dem sämtliches Fleisch abgefallen war. Es waren die sich setzenden Balken, die das Knacken verursachten. Das Haus war eine einzige Todesfalle. »Eine Todesfalle …«, flüsterte sie leise zu sich selbst. Es hatte Matt hierher gelockt und ihr den Mann weggenommen. Selbst in seinem früheren, unversehrten Zustand war Kay House gefährlich gewesen, weil es Matt in Versuchung geführt hatte.
»Oh, Matt …«, flüsterte sie. »Oh, Matt …«
»Passen Sie auf!« Eine Männerstimme, direkt neben ihr, so plötzlich, dass sie sich beinahe zu Tode erschreckt hätte. Bevor sie sich umdrehen konnte, um zu sehen, wer es war, wurde sie von kräftigen Händen bei den Schultern gepackt und zur Seite gerissen. Sarah verlor das Gleichgewicht. Sie fiel und riss den Fremden mit sich. Beide landeten lang ausgestreckt ein kleines Stück von der Stelle entfernt im Dreck, wo Sarah einen Augenblick vorher noch gestanden hatte.
Keine Sekunde zu früh. Einer der an der Wand montierten Einbauschränke, versengt, doch ansonsten noch intakt, löste sich aus der Wand, wo er zuvor gehangen hatte, und kippte nach vorn. Er landete krachend auf dem Boden, genau an der Stelle, wo sie gestanden hatte. Er barst auseinander und offenbarte die gefährlich spitzen Enden von aus den Paneelen ragenden Schrauben.
Ihr Retter gab Sarah frei und rappelte sich hoch. Er reichte ihr eine rußverdreckte Hand, um ihr auf die Beine zu helfen. »Tut mir leid«, hörte sie ihn sagen. »Es war keine Zeit, um Sie höflich zu bitten, einen Schritt zur Seite zu gehen. Ich wollte Sie nicht umwerfen. Ich hoffe, Sie haben sich nicht verletzt?«
Obwohl sie immer noch nicht wusste, wer er war oder woher er so plötzlich gekommen war – sie war sich so sicher gewesen, dass sie alleine gewesen war –, ergriff sie die angebotene Hand und wurde auf die Füße befördert.
»Sie sollten nicht hier sein, es ist wirklich nicht sicher«, sagte der Mann.
Sarah hob den Blick und sah ihn zum ersten Mal an – und kreischte erschrocken. Sie wich vor ihm zurück, glotzte ihn mit wilden Augen an, während sie die Hände vor den Mund schlug, um sich selbst am Weiterschreien zu hindern.
»Haben Sie keine Angst!«, bettelte er. »Bitte, Sie müssen keine Angst haben. Ich wollte gerade rufen, um Sie wissen zu lassen, dass ich da bin, als ich zufällig sah, wie der alte Schrank anfing sich zu bewegen.«
Er war Mitte bis Ende dreißig und trug Jeans und eine Lederjacke, beides mittlerweile voll Asche und Dreck. Seine sonnengebräunten Gesichtszüge waren eingerahmt von einem dichten Schopf dunkler Haare. Er ähnelte Matt so stark, dass sie für einen schrecklichen Moment gedacht hatte, einen Geist zu sehen. Doch er war nicht Matt, und er war viel zu real, um ein Geist zu sein. Sie nahm die Hände vom Mund. »Wer sind Sie?«, flüsterte sie.
»Es tut mir wirklich leid, wenn ich
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