Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
und Fauna. Sebastian Crowns Asche war vor einer Reihe von Jahren beigesetzt worden. Sein Grabstein stand aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aufrecht, sondern lag flach wie eine Platte. Jess sah sich verzweifelt in dem Dschungel aus Vegetation um. Irgendwo dort musste es sein.
Jemand war vor ihr hier gewesen und hatte einen schmalen Pfad getrampelt. War es die Spur von Gervase? Er hatte sicherlich gewusst, wo er suchen musste. Jess folgte der Fährte. Ringsum hing ein starker Geruch nach Erde und Verfall in der Luft, und es herrschte eine Stille, als wäre die Zeit selbst stehen geblieben. Es war nicht einfach, sich gegen das Gefühl zu wehren, von den Augen jener, die hier lagen, beobachtet zu werden.
Bei ihrem Näherkommen flatterten ein paar Vögel in die höher gelegenen Äste hinauf. Ein graues Eichhörnchen auf einer flechtenüberwucherten viktorianischen Urne flitzte über den schmalen Pfad und huschte am nächsten Baumstamm hinauf in Sicherheit. Überall raschelte es von kleinen, unsichtbaren Kreaturen, und Insekten summten um sie herum. Es war erstaunlich, dass Gervase den Gedenkstein für seinen Vater überhaupt gefunden hatte.
Plötzlich kam sie zu einer Stelle, wo das Gras flacher war. Das Unkraut wucherte nicht ganz so ungezügelt, und der Bereich war halbwegs sauber. Es war die Parzelle des Kirchhofs, die für die Urnenbestattungen vorgesehen war. Reihen kleiner flacher Gedenksteine im Boden markierten die Gräber. Ein paar waren recht neu, doch die meisten Steine waren so stark von Schmutz, Flechten und Unkraut überkrustet, dass die Inschriften nicht mehr lesbar waren. Eine Platte war heller als der Rest und erst kürzlich sauber gekratzt worden. Jess nahm sie in Augenschein. Es war die letzte Ruhestätte von Sebastian Crown. Der Stein trug seinen Namen, das Jahr seiner Geburt und das seines Todes.
Das ist es also , dachte Jess. Percy Shelley hätte es in seinem Gedicht Ozymandias nicht besser beschreiben können. Das ist alles, was von einem reichen, mächtigen, entschlossenen und – zumindest gegenüber seiner Frau – gewalttätigen Mann auf dieser Erde übriggeblieben ist. Nichts weiter als ein kleiner Stein, überwuchert von Moos, die eingemeißelte Inschrift gefüllt mit Dreck.
Sie warf einen erneuten Blick auf ihre Uhr und merkte sich die Zeit. Gervase hatte wahrscheinlich ein paar Minuten hier verbracht und an seine Kindheit gedacht, bevor er sich auf den Rückweg zum Hotel gemacht hatte. Der Zeitrahmen war ungefähr richtig. Sie hatte keinen Grund, seine Aussage anzuzweifeln.
Jess verließ den Friedhof und ging in Richtung Royal Oak. Bevor sie das Hotel erreichte, verflüchtigte sich jeder meditative Gedanke über Leben und Tod, den sie vielleicht gehabt haben mochte. Eine vage vertraute Gestalt kam auf sie zu, schlaksig gebaut, mit schmalem Gesicht und mit nichts am Leib außer einem dünnen kurzärmeligen T-Shirt und einer Jeans, trotz des kalten Winterwetters. Das T-Shirt war bedruckt, doch Jess konnte auf diese Entfernung hin nichts Genaueres erkennen.
Der junge Mann hatte sie im gleichen Augenblick erkannt wie sie ihn. Er fuhr herum und wollte in die Richtung flüchten, aus der er gekommen war, doch Jess hatte sich seinen Namen gemerkt und rief laut hinter ihm her.
»Alfie! Alfie Darrow!«
Alfie blieb wie angewurzelt stehen, als er das Gesetz seinen Namen rufen hörte. Als Jess ihn eingeholt hatte, stand er immer noch am gleichen Platz, mit gesenktem Kopf, und weigerte sich, ihr in die Augen zu sehen.
»Hallo Alfie!«, sagte Jess freundlich. »Ich dachte mir gleich, dass du das bist – auch wenn du dir einen Bart hast stehen lassen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
»Bart« war eine glatte Übertreibung. Es war ein zerzauster Flaum am Kinn, kaum als Haar zu bezeichnen. Sie fragte sich, warum er sich einen Bart stehen lassen wollte, wo er doch sehen musste, dass es ihm nicht stand. Versuchte er etwa, sein Aussehen zu verändern? Und wenn ja – warum?
»Ja, sicher«, murmelte Alfie. »Ich erkenne Sie auch wieder.« Er hob den Kopf und sah Jess an. »Sie suchen nicht nach mir, oder? Ich hab nämlich nichts getan!«
»Nein, Alfie, ich suche nicht nach dir«, versicherte ihm Jess.
Das schien Alfie ein wenig zu beruhigen. »Haben Sie diesen Sergeant bei sich?«
»Du meinst Morton? Nein, ich bin allein hergekommen. Wie geht es dir, Alfie? Du verkaufst doch hoffentlich keine Drogen mehr an deine Freunde?«
»Sie können mich gerne filzen – ich bin sauber!«,
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