Asche und Phönix
ihr fortlockte, war alles Mögliche, nur nicht der Royden Cale, der die Wände seines Ateliers mit Monden bemalt hatte.
Sie wollte den beiden die Treppe hinunterfolgen, aber da trat ihr jemand in den Weg.
Sie hatte Libatique erst ein einziges Mal gesehen, als er und Guignol auf dem Vorplatz der Cale-Villa aus dem Rolls-Royce gestiegen waren. Durch das Fernglas hatte sie sein Gesicht nicht erkennen können. Nun aber blickte sie ihm direkt in die Augen und hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er es war.
Libatique trug einen dunklen Zweireiher und war barfuß. Seinen Gehstock hielt er mit einer verspielten Lässigkeit, die deutlich machte, dass er Drohgebärden nicht nötig hatte. Parker hatte ihn als unscheinbar beschrieben, aber das traf hier und heute nicht mehr zu. Sein Gesicht schien zu flackern, als gäbe er sich keine Mühe mehr, sein menschliches Erscheinungsbild aufrechtzuerhalten. Es war, als überschnitten sich in rasender Folge zwei Bilder: das Antlitz eines älteren blasshäutigen Mannes und etwas, das wie die Nacht war, die sich über Cap Ferrat und die Villa Levi gelegt hatte.
Ash rannte los. Zur Treppe konnte sie nicht, wollte es jetzt auch gar nicht mehr. Levi kannte Libatiques Schwachstelle. Sie musste im Haus nach ihm suchen.
Libatiques Flackern wurde heftiger, aber sie sah es nur aus dem Augenwinkel. Dann wehten ihr schon die Vorhänge ins Gesicht. Ash riss sie beiseite und stürmte ins Haus.
53.
Parker sprang die Stufen hinunter und erreichte den Pool. Einige Kerzen waren vom Wind gelöscht worden, aber die meisten brannten noch als Flammenkette am Rand des Beckens.
Sein Vater war ihm dicht auf den Fersen. Er bewegte sich nicht so flink wie Guignol, schien aber trotz seines verwahrlosten Zustands bei Kräften zu sein. Sein Mantel flatterte, während er Parker die Treppe herabfolgte, doch aus seinem Mund drang kein Laut. Er atmete nicht.
Parker wollte Ash Zeit verschaffen, damit sie verschwinden konnte, aber er war alles andere als sicher, ob sie diese Chance auch nutzen würde. Er lief auf die andere Seite des Pools und am Steingeländer entlang. Sein Vater war dicht hinter ihm. Bis vor ein paar Tagen war Royden Cale für sein Alter beneidenswert gut in Form gewesen, aber gegen Parker kam er jetzt nicht mehr an.
Bald hatte Parker das Schwimmbecken zwischen sich und seinen Vater gebracht. Er stand auf der Hangseite, Royden vor dem Steingeländer am Abgrund. Über den leeren Pool hinweg belauerten sie einander. Parker war sich bewusst, dass sie nicht ewig so stehen bleiben konnten. Er nutzte den Augenblick, um seinen Vater zu mustern. Der Abstand zwischen ihnen war groß genug und die Kerzen warfen ausreichend Licht. Am Himmel explodierten die letzten Feuerwerksraketen, dann kehrte Ruhe ein. Nur die See rauschte tief unten am Ufer von Cap Ferrat.
Libatique hatte sich einen neuen Guignol erschaffen, wie er es vorher wahrscheinlich schon viele Male getan hatte. Einzig die Augen waren noch die von Royden, und selbst auf diese Distanz meinte Parker darin lodernden Hass zu erkennen.
»Du glaubst, dass ich dir das angetan habe?«, rief Parker ihm zu. »Dass das meine Schuld ist, weil ich dich bei ihm zurückgelassen habe? Niemand hat dich gezwungen, einen Pakt mit Libatique zu schließen. Und was du meiner Mutter angetan hast, war ganz allein deine Entscheidung!«
Cales Wut war nicht länger die eines Menschen. Wahrscheinlich hatte er in den letzten Augenblicken seines Lebens begriffen, dass Parkers Flucht aus dem Atelier ein Akt der Vergeltung gewesen war. Sein Sohn hatte ihn Libatique ausgeliefert.
»Du warst immer ein egoistischer Bastard!«, sagte Parker. »Du hast bekommen, was du verdienst hast, und noch viel Schlimmeres.«
Er hatte herausfinden wollen, was der Anblick seines Vaters bei ihm bewirkte, ob sich Mitgefühl regte oder auch nur Erinnerungen an bessere Zeiten. Aber er spürte nichts dergleichen.
Der Mann auf der anderen Seite des Beckens war nicht mehr der Vater, den er als Kind einmal gerngehabt hatte; das war er schon seit Jahren nicht mehr. Der Verfall in seinem Inneren war nun auch äußerlich sichtbar geworden. Dies hier war der wahre Royden Cale, das Ungeheuer, das im Verborgenen darauf gewartet hatte, endlich ans Tageslicht zu kriechen.
54.
Ash ließ das weiße Wohnzimmer hinter sich und gelangte in eine Eingangshalle, die sich über zwei Etagen erstreckte. Eine Marmortreppe führte hinauf in den ersten Stock.
Mit jagendem Atem blieb sie stehen und hielt
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