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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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er sich Mühe gibt. Oder jeder Massenmörder. Nein, die Menschen müssen ihn lieben ! Und ich meine wirklich lieben!«
    Sie verzog das Gesicht. »Libatique?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass es möglich ist. Aber das ist die Art von Ruhm, die ihn zerstören kann. Maßlose Liebe.« Er hob beide Hände, als bedrohte sie ihn mit einer Waffe. »Eventuell.«
    Es war aussichtslos. Sie war mit diesem Irren hier im Keller gefangen und es gab kein Schlupfloch, durch das sie –
    »Du hast nach einem zweiten Ausgang gefragt«, sagte er. »Nun, es gibt einen.«
    »Das sagen Sie jetzt?«
    »Ein Notausgang. Für den Fall, dass hier unten ein Feuer ausbricht. Glaubst du, ich wäre das Risiko eingegangen, dass die Stones oder die Jungs von Sabbath oder sonst wer in meinem Haus verbrennen?«
    »Warum sind wir dann noch hier?«, platzte sie heraus.
    »Weil –«
    »Steve. Ich weiß. Wo ist dieser Notausgang?«
    Levi eilte an ihr vorbei zur Rückseite des Raumes, gleich neben Teilen eines Schlagzeugs. Eines der breiten Holzpaneele, mit denen die Wände verkleidet waren, hatte einen Drehknauf. Levi betätigte ihn und stieß die Täfelung nach außen. Zu Ashs Überraschung ging der Kellerraum hinter der dicken Wand aus Holz und Dämmstoffen noch einige Meter weiter. Es war eine dunkle, muffige Kammer, grob verputzt, in der ein paar ausrangierte Musikinstrumente, Notenständer, Kabelrollen und anderes Gerümpel abgestellt waren. In der rückwärtigen Mauer befand sich eine Öffnung, durch die eine Schräge nach oben führte, vermutlich eine ehemalige Kohlenrutsche. Eisensprossen waren nachträglich darin verankert worden.
    Ash wollte loslaufen, aber Levi hielt sie zurück. »Da draußen kann Steve dich nicht beschützen.«
    Es hatte keinen Zweck. Noch einmal blickte sie vom Durchgang in den Aufnahmeraum zurück.
    Libatique stand hinter der Glasscheibe und lächelte ihr zu.
    Er sah wieder aus wie ein älterer Mann, grauhaarig und unscheinbar. Langsam hob er eine Hand und legte die gespreizten Finger an das Glas, genau zwischen die Augen des großen Smileys.
    Levis Blick folgte Ashs. Seine Augen verengten sich ein wenig, als er Libatique entdeckte, aber er sagte kein Wort. Er wirkte weder erschrocken noch furchtsam.
    »Kommen Sie mit!«, flehte Ash ihn an. »Bitte!«
    »Steve und ich werden versuchen ihn aufzuhalten.« Levi schob sie Richtung Ausgang. »Lauf jetzt!«
    »Ja, Ashley, lauf!«, sagte Libatique. »Du wirst nicht weit kommen!«
    Levi gab ihr einen Stoß, der sie zwischen die abgestellten Instrumente beförderte. Er schenkte ihr ein knappes Lächeln, dann schloss er den Durchgang in der Zwischenwand.
    Die Tür war kaum zu, als auf der anderen Seite ein dumpfes Scheppern ertönte. Nicht einmal die Schallisolierung konnte das Geräusch der berstenden Fensterscheibe vollständig schlucken.
    Ash warf sich herum und rannte auf die Schräge zu.

55.
    Es hatte eine Zeit in Parkers Leben gegeben, da war er Risiken eingegangen, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Er hatte zu Fuß dunkle Autobahnen überquert, den Kopf mit geschlossenen Augen aus dem Fenster der S-Bahn gestreckt, war mit Höchstgeschwindigkeit über vereiste Straßen gefahren und einmal von einer so hohen Brücke ins Wasser gesprungen, dass ihn der Aufschlag hätte töten können. Dabei war es ihm nicht um den Adrenalinkick gegangen, nicht um Mutproben oder die Anerkennung anderer; das hatte ihm nur sein Vater vorgeworfen. Der wahre Grund war immer nur er selbst gewesen, die Tatsache, dass es ihm egal gewesen war, ob dieser Parker Cale, den er im Spiegel ertragen musste, lebte oder starb.
    Auch nachdem er endlich begonnen hatte, seine selbstzerstörerischen Anwandlungen in den Griff zu bekommen – mit Hilfe von Therapien, Medikamenten und einer ganzen Menge Willenskraft –, war dieses andere Ich nie völlig verschwunden.
    Und nun zeigte das Guignolgesicht seines Vaters das gleiche überhebliche Grinsen wie Parkers böses Ebenbild im Spiegel. Der Kerzenschein vom Beckenrand vertiefte seine Mundwinkel und die Schatten unter den Augen. Er war alles, was Parker je an sich gehasst hatte, alles, dem er je mit Rasierklingen zu Leibe gerückt war. Er war das, was ihn fast in den Selbstmord getrieben hatte, jene Seite von ihm, die niemand hatte sehen können außer ihm selbst.
    Und Parker entschied, dass es hier enden würde. Er wollte nicht mehr davonlaufen, nicht vor sich selbst und nicht vor seinem Vater, ganz gleich wie viel von ihm noch in dem Ding da

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