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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wir ja meist nur ein paar Monate im Jahr –, hat sie alle Hände voll zu tun. Vielleicht staubt sie gerade die Sammlung meines Vaters ab.«
    Am Ende des Korridors öffnete er eine Doppeltür, hinter der sich ein gewaltiger, loftähnlicher Raum befand. In eine Säule war ein offener Kamin eingelassen. Das Zimmer erstreckte sich über zwei Ebenen, die durch Stufen miteinander verbunden waren. Durch die verglaste Rückseite blickte man hinaus auf einen Innenhof mit geometrischer Wasserlandschaft: Holzstege umrahmten vier quadratische Becken. Auf der Oberfläche trieben Wasserlilien, zwischen ihnen wuchs sorgsam arrangiertes Schilfgras. Erst jetzt bemerkte Ash, dass auch ein Teil des Zimmerbodens aus Glas bestand. Darunter befand sich ein weiteres, sanft beleuchtetes Becken. Der Grund war übersät mit etwas, das sie für Steine hielt. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte sie, dass es Krebse waren.
    »Hi, Dad«, sagte Parker.
    Royden Cale stand vor dem Fenster und wandte ihnen den Rücken zu. Auf Ash wirkte er sehr verloren in der Weite dieses Raumes. Er trug luftige weiße Leinenkleidung, die sie an einen gürtellosen Judoanzug erinnerte. Unter den weiten, gerafften Hosenbeinen schauten Sandalen hervor. Sein graues Haar war schulterlang und ungepflegt.
    »Dad«, sagte Parker noch einmal und ging auf seinen Vater zu. Ash war nahe der Tür stehen geblieben.
    »Du kommst spät«, sagte Cale.
    »Chimena ist tot.«
    Die Schultern seines Vaters sackten ein wenig nach unten. »Guignol?«
    »Er hätte uns fast erwischt«, sagte Parker.
    »Uns?« Erst jetzt drehte Cale sich um. Die Vorderseite seines Leinenhemdes war übersät mit Farbspritzern. Er war unrasiert und übernächtigt. Sein müder Blick streifte Parker, wanderte dann weiter zu ihr. »Du hast sie mit hergebracht?«
    Erst jetzt fiel Ash der süßliche Geruch auf. Jemand hatte hier Gras geraucht, eine ganze Menge davon.
    »Guten Tag, Mister Cale«, sagte sie. Und zu Parker: »Hör mal, ich kann auch draußen warten.«
    »Nein«, entgegnete Parker. In ihren Ohren klang es, als wollte er sich vor allem gegen seinen Vater behaupten.
    Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab. Sie wollte nicht Gegenstand dieses kindischen Gerangels werden.
    »Sie soll gehen«, sagte Cale.
    Aber Parker war schon neben ihr und ergriff ihre Hand. »Bleib bitte hier. Da draußen ist es nicht sicher.« Meinte er vor dem Haus oder außerhalb des Stacheldrahtzauns?
    »Ich warte im Wagen. Wenn ihr fertig seid, bring mich einfach dorthin, wo der Bus zur Küste hält.«
    Er senkte seine Stimme. »Was hast du denn erwartet? Dass er dir um den Hals fällt?«
    »Ich hätte nicht mitkommen sollen. Mein Fehler.«
    Über Parkers Schulter hinweg sah sie, dass Cale sich wieder zum Innenhof umdrehte. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand.
    Auch Parker bemerkte das Flüstern. Mit einem Ausdruck zwischen Ärger und Hilflosigkeit fuhr er herum. »Dad?«
    Cale legte die Hände auf Schulterhöhe an das Glas und redete leise vor sich hin. Er sah aus, als wollte er aus den Wasserbecken dort draußen etwas heraufbeschwören.
    »Dad? Was ist los?«
    Ash beugte sich an sein Ohr. »Er ist total stoned.«
    Parker ächzte leise.
    »Ist er das öfter?«
    »Nur hier. Nie in England oder anderswo, jedenfalls hab ich’s sonst noch nicht mitbekommen.«
    Cale sagte: »Ich habe wieder mit dem Malen begonnen.«
    Ash hatte gerade einen Schritt Richtung Tür gemacht, blieb nun aber stehen.
    »Klasse, Dad.« Parker verzog das Gesicht.
    Cale ließ die Finger in zwei weiten Bögen über die Glasscheibe wandern.
    »Okay«, sagte Ash. »Ich verschwinde.«
    »Aber –«
    »Wir können zusammen gehen. Oder ich nehme den Wagen und haue allein ab.«
    »Du kannst nicht fahren.«
    »Ich hab keinen Führerschein. Das ist nicht dasselbe.«
    Zweifel standen in seinen Augen und er wollte etwas sagen, als Ash mit einem Nicken zu seinem Vater deutete. Widerwillig löste Parker den Blick von ihr.
    Royden Cale hatte die Arme ausgebreitet, die Hände noch immer am Glas. Seine Finger hatten Schmierspuren auf der Scheibe hinterlassen. Zwei weite Halbkreise.
    »Sie hat uns einmal geholfen«, murmelte er. »Aber sie wird es kein zweites Mal tun.«
    » Sie , Dad?«
    Cale ließ die Arme sinken.
    Parker sah Ash beschwörend an, dann ging er auf seinen Vater zu. Royden Cale stand nach wie vor mit dem Rücken zu ihnen und bewegte sich nicht mehr.
    Die beiden Halbkreise auf der Scheibe sahen aus wie ein verkniffenes Augenpaar.
    Oder wie

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