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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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letzten Kuss und ging. An der Treppe schaute er noch einmal zu ihr zurück. Der Wind presste die Bluse gegen ihren Körper. Das Pentagramm funkelte in der Nachmittagssonne. Sie lächelte noch immer, als sie sich abwandte, den Feldstecher hob und wieder zum Mondhaus hinübersah.
    Widerstrebend musste er sich von ihrem Anblick losreißen. Er folgte dem Wachmann die Stufen an der Außenseite des Quaders hinunter und durch eine massive Tür ins Haus.
    Vielleicht bekäme er keine zweite Chance, mit seinem Vater zu sprechen. Royden Cale gab sich in den Medien freundlich und auskunftsbereit; hinter verschlossenen Türen aber handhabte er Gespräche mit seinen engsten Vertrauten wie Audienzen bei Hofe. Parker war in ständiger Ungewissheit über die Launen seines Vaters aufgewachsen, ein Spielball dramatischer Stimmungswechsel, von Euphorie über Zerrissenheit bis hin zu tiefer Trauer. Royden Cale war schon vor Jahren als manisch-depressiv diagnostiziert worden, aber an den meisten Tagen hielt er die Krankheit mit einer Mischung aus Medikamenten und fernöstlichem Mumpitz unter Kontrolle.
    Im ersten Stock durchquerten Parker und der Wachmann einen der Verbindungsgänge von einem Gebäudeteil zum anderen. Er versuchte, sich auf die Fragen zu konzentrieren, die er über Libatique und Chimena stellen wollte, aber stattdessen sah er immer wieder Ash vor sich, im Sonnenschein vor dem Panorama der Bergwälder.
    Der Wachmann führte ihn in einen Raum, der für Besprechungen mit Geschäftsleuten benutzt wurde. Sein Vater war noch nicht da.
    Hinter Parker fiel die Tür zu. Er fuhr herum, machte einen Schritt zurück – aber da klickte es schon im Schloss. Zweimal wurde von außen der Schlüssel gedreht.
    »Hey!« Er rüttelte an der Klinke. »Machen Sie wieder auf!«
    »Tut mir leid, Mister Cale«, erklang es dumpf von der anderen Seite. »Anweisung Ihres Vaters.«
    »Sie sind hier angestellt, und ich –«
    »Verzeihen Sie, aber wir sind Angestellte Ihres Vaters. Wir haben uns einzig nach seinen Wünschen zu richten.« Nach kurzem Zögern fügte er fast wie eine Entschuldigung hinzu: »Er ist sehr deutlich geworden, als er uns darauf hingewiesen hat.«
    Parker schlug mit der Faust gegen das Holz. »Machen Sie die Scheißtür auf!«
    Draußen entfernten sich die Schritte des Mannes. Dann herrschte Stille.

28.
    Sie kamen zu zweit, um sie zu holen. Ash hörte ihre schweren Schuhe auf der Außentreppe. Als die geschorenen Köpfe der Männer über der obersten Stufe auftauchten, begriff sie, dass hier gerade etwas ganz und gar falsch lief.
    Es war keiner von denen dabei, die sie schon kannte, und sie fragte sich, wer zum Kuckuck den verdammten Zaun bewachte, wenn die gesamte Security mit Hunden und Gästen beschäftigt war.
    »Miss, würden Sie bitte mitkommen!«
    Das war keine Frage.
    Sie ließ das Fernglas sinken. Es baumelte an einem Riemen über dem Pentagramm auf ihrer Brust. »Und dann?«
    Die Männer kamen näher. »Bitte folgen Sie uns einfach.«
    Sie dachte an Exekutionskommandos, an Augenbinden und Schießbefehle. Sie dachte, dass sie vielleicht, nur vielleicht , ein kleines Stück flinker war und an ihnen vorbei zur Treppe gelangen konnte. Aber das waren keine grobmotorischen Türsteher vor einem Club in Shoreditch. Gegen diese Kerle hatte sie keine Chance.
    »Wohin soll’s denn gehen?«, fragte sie.
    Der eine Wachmann deutete auf den Rucksack neben ihr am Boden. »Nehmen Sie den und kommen Sie mit. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Niemand tut Ihnen etwas.« Seine Höflichkeit war nicht gespielt. Männer wie er hatten es nicht nötig, mit Worten zu drohen.
    Ash hob den Rucksack auf und steckte den linken Arm durch die Riemen. »Ich würde gern erst mit Parker sprechen.«
    »Der ist beschäftigt.«
    »Kann ich solange warten?«
    »Leider nein. Wenn Sie nun so freundlich wären …« Die beiden nahmen sie in ihre Mitte.
    »Weiß Parker, dass Sie mich abholen?« Sie wollte nur Zeit gewinnen.
    »Selbstverständlich.«
    Die Antwort kam zu schnell. Ash war geübt darin, schlechte Lügner zu erkennen. Ihr Respekt kühlte deutlich ab.
    Kurz darauf traten sie aus dem Haupteingang auf den Vorplatz. Im Haus waren sie keiner Menschenseele begegnet. Spätestens jetzt war ihr klar, wohin die Reise ging.
    »Mister Cale hält nicht viel von Besuch, hm?«
    »Kommt auf den Besuch an«, sagte einer ihrer Begleiter. Schon jetzt konnte Ash sie nicht mehr auseinanderhalten.
    Sie deutete auf den BMW. »Mein Gepäck ist noch da drin.

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