Asche und Phönix
außerdem einigen Schokoriegeln und Energydrinks von der letzten Raststätte. Sie zog den Lippenstift hervor, führte ihn zum Mund – und ließ ihn kurz davor wieder sinken. Nach kurzem Zögern schleuderte sie ihn zwischen den Bäumen hindurch gegen das Tor. Als er von dem Metall abprallte, zuckten die Köpfe der Männer herum. Ash nahm die abgesägte Schrotflinte aus der Tennistasche und verließ hinter den Motorrädern die Deckung des Waldes. Sie hatte gehofft, dass vielleicht ein Zündschlüssel steckte, wurde aber enttäuscht.
Mit der Waffe im Anschlag erhob sie sich und rief: »Hey!«. Dann feuerte sie einmal aus kurzer Distanz auf den Motorblock der Mitsubishi. In Filmen reichte das, um solch eine Maschine lahmzulegen.
Die Paparazzi sprangen auf, fluchend und brüllend, dann klickten ihre Kameras und Ash, mit Hippiebluse und Schrotflinte, wurde dutzendfach für die Nachwelt festgehalten. Sie nahm an, dass sich dieses absonderliche Bild ganz hervorragend auf den Titelseiten machen würde: die asoziale Hoteldiebin, die sich vom heißesten Jungstar Hollywoods abschleppen lässt, abserviert wird und daraufhin Amok läuft.
Das Geschrei der Paparazzi bereitete ihr weniger Sorge als die Kameras auf dem Tor. Aber wie sie Royden Cale einschätze, würde er den Wachleuten Anweisung geben, sich still zu verhalten, um seinen Namen und den seines Sohnes nicht noch tiefer in den Schmutz zu ziehen.
»Den Schlüssel für die Yamaha!«, verlangte sie und fuchtelte mit der Flinte, in der Hoffnung, es sähe angemessen bedrohlich aus.
»Fick dich!«, rief ihr einer der Paparazzi zu, mäßig beeindruckt und mit französischem Akzent.
Aus ihrer Hosentasche holte sie zwei weitere Patronen. Sie ließ das Gewehr aufschnappen, zog die leere Hülse heraus und schob eine neue hinein.
»Den Schlüssel!«
Kurzes Palaver unter den Paparazzi, die in Gedanken vermutlich längst das Geld zählten, das ihnen diese Geschichte einbringen würde. Wahrscheinlich fürchteten sie nicht ernsthaft um ihr Leben, aber einer warf ihr jetzt sein Schlüsselbund zu, während die beiden anderen weiter Fotos machten.
Ash sah erneut zum Tor. Die Kameras hatten sich lautlos in ihre Richtung gedreht.
Der Schlüssel passte. Die Männer schossen ihre Bilder, während Ash die Transportbox hinter dem Sitz ausräumte und ihren Rucksack hineinstopfte. Einer zog sein Handy hervor und wollte telefonieren, aber das konnte sie nicht zulassen. Eilig näherte sie sich den dreien.
»Schmeiß das Ding auf den Boden! … Ja, auf den Boden, genau! Und ihr anderen – werft eure dazu! Beeilt euch!«
Wütender Protest auf Französisch und Englisch, aber schließlich lagen drei Mobiltelefone im Gras.
»Und jetzt die Kameras!«
Das konnte schiefgehen. Aber ihr blieb nichts anders übrig.
Sie musste auf ihre Gesichter zielen, damit sie gehorchten. Zwei legten ihre Kameras zu den Handys auf den Boden, erst die großen mit den riesigen Objektiven, dann auch die handlicheren Apparate, die sie in ihren Jacken getragen hatten.
Einer weigerte sich.
Ash seufzte und feuerte ihm in einigem Abstand vor die Füße. Kein Meisterschuss, aber die Wirkung war beachtlich. Binnen Sekunden lagen die letzten Kameras auf dem Boden.
Am Tor blieb es ruhig. Royden Cale betete wohl gerade, dass niemand auf seiner Fußmatte starb.
»Deinen Flachmann«, sagte sie. »Gib mal her das Ding.«
Sie hatte nur noch eine Patrone im Lauf. Aber sie verließ sich darauf, dass keiner der drei der Erste sein wollte, den sie erschoss.
Das silberne Fläschchen flog herüber. Als sie sich danach bückte, machte der Besitzer einen raschen Schritt auf sie zu, doch sofort wies die Mündung ihrer Waffe in seine Richtung.
»Stellt euch nicht so an«, sagte sie. »Sind doch nur Kameras.«
Sie hielt das Gewehr mit einer Hand und schraubte den Flachmann mit den Zähnen auf. Auch das hatte im Fernsehen einfacher ausgesehen.
»Und jetzt alle ein paar Schritte zurück!«
Niemand bewegte sich.
»Scheiße, macht schon!«
Die drei setzten sich rückwärts in Bewegung.
»Weiter. Und weiter. Gut so.«
Sie trat vor den kleinen Berg aus Kameras und Handys.
Hinter dem Tor hörte sie Schritte.
In einer Kreisbewegung goss sie den Inhalt der Flasche über den Geräten aus. Alkoholgeruch stieg ihr in die Nase, so hochprozentig, wie sie gehofft hatte.
»Hat jemand Feuer?«
Hasserfüllte Blicke.
»Keiner?« Achselzuckend trat sie zwei Schritte zurück und lud den leeren Lauf der Flinte nach. Ihre Hände zitterten
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