Asche und Phönix
hatte sie gesehen, dass das Haupttor offen stand, also machte sie sich am Zaun entlang auf den Weg dorthin. Hier gab es nicht einmal einen Trampelpfad, und so schlug sie sich durch das knochentrockene Unterholz.
Als Ash die Lichtung vor dem Tor erreichte, versuchte sie, nicht nach dunklen Flecken auf dem Boden Ausschau zu halten. Aber der Gestank allein schnürte ihr die Kehle zu. Guignol hatte die Toten hinter die offenen Torflügel gezogen. Ohne sich nach ihnen umzusehen, lief sie über die Schwelle. Nach wenigen Metern bog sie in den Wald ab und bewegte sich parallel zur Auffahrt auf die Villa zu.
Die Hunde schwiegen noch immer. Der Quader, in dem sich ihre Zwinger befanden, lag weit entfernt vom Rest des Hauses. Sie wusste, dass es dort einen Nebeneingang gab. Erst einmal aber musste sie die offene Rasenfläche überqueren.
Während sie im Unterholz kauerte und zur Villa hinübersah, hatte sie mehrfach das Gefühl, dass sich etwas veränderte, ohne dass sie hätte sagen können, was genau. Vielleicht nur Lichtreflexe in den Scheiben, während die Nachmittagssonne allmählich tiefer sank. Das Haus kam ihr vor wie ein Schauspieler, der einen Leichnam darstellt, während man darauf wartet, dass er sich durch einen Atemzug verrät.
Sie löste sich aus dem Unterholz und rannte so schnell sie konnte über den Rasen zum Eingang des Zwingeranbaus. Sie hoffte, dass sie nicht beobachtet wurde und Guignol sich nicht gerade auf den Weg machte, um sie abzufangen.
Die schwere Außentür war nicht verschlossen. Ash öffnete sie einen Spaltbreit. Gestank drang heraus und mit ihm diese schreckliche Stille. Sie wappnete sich für das Schlimmste. Die geladene Schrotflinte fühlte sich eiskalt in ihren Händen an.
Sie zog die Tür auf und hörte ein erbärmliches Wimmern. Mit bebenden Knien trat sie ein.
Die sechs Biester – halb Bullmastiff, halb Balrog – kauerten in den hintersten Ecken ihrer Zwinger, eingezwängt zwischen Gittern und Hundehütten, Panik in den blutunterlaufenen Augen, Schaum vor den Schnauzen.
Vor dem letzten der drei Zwinger ging Ash in die Hocke und suchte Blickkontakt mit einem der Tiere, aber es sah durch sie hindurch. Sie hatte Mitleid, machte sich aber widerstrebend auf den Weg zum Haus. Nachdem sie die Verbindungstür vorsichtig geöffnet hatte, konnte sie in den Korridor blicken, der den Zwingeranbau mit dem Haupttrakt verband. Dreißig Meter, vorbei an hohen Fenstern.
Mit jagendem Herzschlag erreichte sie die Tür zum Haupthaus. Auf der anderen Seite war der Boden voller Blutflecken, dazwischen verschmierte Fußabdrücke. Unmöglich zu sagen, wie viele Menschen hier gegeneinander gekämpft hatten. Der Gestank nach Eisen war nur schwer zu ertragen.
Trotzdem ging sie in die Hocke, legte die Flinte beiseite und zog die Kamera aus ihrem Rucksack. Ohne Blitzlicht machte sie ein Foto des roten Musters am Boden. Der Mechanismus, der das Bild aus dem Schlitz der Kamera transportierte, war ihr noch nie so laut vorgekommen. Ohne abzuwarten, bis etwas sichtbar wurde, warf sie es in den Rucksack und hängte sich die Kamera an ihrem Riemen vor die Brust.
Wieder mit der Flinte in beiden Händen bog sie um eine Ecke, folgte der klebrigen Spur und ging an einer Treppe vorbei, die in den ersten Stock führte. Sie konnte von hinten zwischen den Stufen hindurchsehen und entdeckte, dass weiter vorne jemand im Korridor stand. Aufrecht, mit dem Rücken zu ihr. Ein Mann im schwarzen Overall, reglos, mit hängenden Armen.
Kurz erwog sie, die Treppe hinaufzugehen, entschied sich aber dagegen. Fast lautlos schlich sie weiter, an den Stufen vorbei und auf den Mann im Korridor zu. Rechts und links von ihm war nicht viel Platz bis zu den Wänden.
Schwer zu schätzen, wie viel Blut er verloren hatte, aber allein die riesige Lache zu seinen Füßen ließ kaum Zweifel daran, dass er so gut wie tot war. Dass er noch stand, grenzte an ein Wunder. Seine Finger waren unnatürlich abgewinkelt, als hätten sich seine Hände überlegt, in Zukunft lieber Spinnen zu sein.
Vier Meter hinter ihm blieb sie stehen. Hielt mit einer Hand das Gewehr und hob mit der anderen die Kamera von der Brust. Es war wie ein Zwang, gegen den sie nicht ankam.
Der Auslöser klickte. Das fertige Foto schob sich knirschend aus dem Schlitz an der Vorderseite und fiel hinunter in die Blutspur am Boden.
Der Mann rührte sich noch immer nicht, als Ash die Schrotflinte wieder mit beiden Händen ergriff und die Mündung auf seinen Rücken
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