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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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umrahmte, und sehr schmale, fast unsichtbare Augenbrauen. Zudem war er barfuß.
    »Dachtest du wirklich«, fragte er Parkers Vater, »dass ein paar Schmierereien mich davon abhalten würden, den Preis einzufordern, den du mir so lange vorenthalten hast?« Sein Englisch klang sehr britisch, obwohl Parker bezweifelte, dass dies etwas mit seiner Herkunft zu tun hatte. Wohl eher mit seinem Gegenüber: Libatique mochte alle Sprachen dieser Welt beherrschen, je nachdem, mit wem er redete.
    Royden Cale saß zusammengesunken auf dem Stuhl, das Kinn lag auf seiner Brust. Er hatte nur einmal hochgeblickt, als Parker von Guignol hereingebracht worden war, mit einer Klinge an der Kehle. Parker hatte mitangesehen, was Guignol dem Wachmann Craig angetan hatte. Das Grauen hatte ihn zum Standbild eingefroren, während Guignol über dem Mann am Boden gekauert hatte und seiner schmutzigen Arbeit nachgegangen war.
    Und nun saßen sie Seite an Seite, Vater und Sohn, umgeben von Mondsicheln in allen Farben des Regenbogens, während Leichengestank durch die Villa wehte.
    Langsam hob Parkers Vater den Kopf. »Ich habe gemalt. Das wolltest du doch. Dass ich male, so wie damals.«
    »Dazu ist es zu spät«, sagte Libatique mit einem Kopfschütteln. Er hob einen Gehstock mit silbernem Knauf, auf den er sich nie zu stützen schien, und deutete in einem Halbkreis auf all die Monde im Atelier. Royden Cale hatte sogar die Decke damit bemalt.
    Drüben zwischen den Leinwänden legte Guignol ganz langsam seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er streckte den rechten Arm aus, als wollte er durch das Fenster nach dem Mondhaus greifen, und so blieb er reglos stehen.
    »Wir hatten eine Abmachung«, sagte Libatique. Bislang hatte er Parker noch keines Blickes gewürdigt. »Aber du hast dich vor langer Zeit entschieden, dich nicht daran zu halten, Royden. Ich habe dir Erfolg geschenkt, und das Einzige, was ich dafür verlangt habe, war deine Kunst. Dass du weitermalst und dein Talent zu neuen Höhen führst. Sonst nichts. Nur diese eine Sache!«
    »Mein wahres Talent war ein anderes«, entgegnete Cale, »und es hat mir all den Erfolg eingebracht, den du mir versprochen hast. Was ist so falsch daran? Du kannst an allem teilhaben. Du wirst alles bekommen, was du willst.«
    Parker stellte verwundert fest, dass sein Vater deutlicher sprach als bei ihrer Ankunft. Die Drogen mussten noch in seinem Blut sein, aber nun gelang es ihm, sich nichts anmerken zu lassen.
    Libatique trat an eine der Wände, augenscheinlich, um die Mondmalereien zu betrachten. Und da wiederholte sich die Erscheinung aus dem Flur: Auf der hellen Holztäfelung erschienen wimmelnde Ornamente aus Kreide, fügten sich zu primitiven Gesichtern zusammen, die nur aus Punkten und Strichen bestanden. Als Libatique sich langsam an der Wand entlangbewegte, von einem Mond zum nächsten, folgten ihm auch die Kreidemuster wie ein Schweif. Erst nach einer Minute begannen die Ornamente sich wieder aufzulösen.
    »Was willst du von uns?«, fragte Parker.
    Libatique streckte die Hand aus und berührte eine der Leinwände. Fast liebevoll strich er über die Oberfläche aus dick aufgetragenen Acrylfarben. »Ich wünschte …«, begann er, ohne den Satz zu beenden. Die Berührung seiner Fingerspitzen hinterließ Kreidemuster auf der Leinwand, wie Spinnweben.
    Schließlich drehte er sich zu seinen Gefangenen um. »Dein Vater schuldet mir etwas«, sagte er mit ernster Miene. Der Graustich seiner Haut erinnerte Parker an ein rohes Stück Fleisch, das zu lange in der Sonne gelegen hatte. »Das war unser Deal. Erfolg gegen ein Stück vom Ruhm. Aber statt weiterhin große Kunst zu schaffen, Bilder zu malen, immer besser zu werden, hat er alles einfach fortgeworfen und ist zu dem hier geworden.« Er deutete mit seinem Stock auf Royden Cale. »Ein Unternehmer. Ein Manager. Jemand, dem es um nichts als Umsatzzuwächse, Renditen und Gewinnmargen geht.«
    »Und was bist du?«, fragte Parker. »Kommunist?«
    Ein überraschendes Lächeln huschte über Libatiques Gesicht. »Ich bin derjenige, der dich größer machen wird, als du dir es je hast träumen lassen.«
    Parker starrte ihn an und lachte. »Größer als Phoenix Hawthorne?« Er spie den Namen aus wie eine Obszönität. »Größer als all das, was ich schon habe und nicht mehr loswerde? Glaubst du wirklich, ich will noch mehr davon? Du kannst es dir nehmen und daran ersticken, wenn du willst.«
    Eine Zornesfalte erschien zwischen Libatiques Augen, aber

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