Asche und Phönix
fast die Kontrolle über den Wagen verlor. Das Fahrzeug schlitterte ein Stück, stellte sich schräg und verfehlte mit dem Heck nur knapp einen der Bäume.
Ash blickte über die Motorhaube. Um Haaresbreite hätten sie den Leichnam des Wachmanns überfahren, den Guignol dort zurückgelassen hatte.
»Ryan«, sagte Parker leise. »Er hat die Hunde gemocht.«
»Sie haben es Guignol heimgezahlt.«
Mit zusammengepressten Lippen fuhr er wieder los, machte einen Bogen um den Toten und raste Augenblicke später über die Torschwelle hinweg, weiter den Waldweg entlang Richtung Hauptstraße.
»Was jetzt?«, fragte Ash. »Zur Polizei?«
Er schüttelte den Kopf. »Was sollten die tun? Schlimmstenfalls werden sie versuchen, uns das alles anzuhängen.«
»Uns?«
»Liest du nie diese Geschichten über Kinder, die ihre reichen Eltern abschlachten, um schneller ans Erbe ranzukommen? Bis irgendwer alle Spuren gesichert und den Ablauf rekonstruiert hat, können Tage vergehen. Und bis dahin wird Libatique herausgefunden haben, wo wir sind. Ein paar Mauern oder Gitter werden ihn kaum aufhalten. Ich habe was, das er um jeden Preis will.«
»Du kannst nicht ewig vor ihm davonlaufen.«
»Erst mal brauchen wir ein Versteck. Eines, das nicht mal er findet. Ich kenne so einen Ort.«
Sie musterte ihn von der Seite. »Du hast da drinnen keinen Pakt mit ihm geschlossen, oder?«
»Die Hunde sind noch rechtzeitig aufgetaucht. Das hab ich dir zu verdanken.« Im blauen Licht der Armaturen blickte er zu ihr hinüber. »Ich setze dich irgendwo ab, wenn du willst. Aber wenn ich ehrlich bin –«
»Was?«
»Es war nicht besonders clever, zur Villa zurückzukommen. Diese Sache mit den Paparazzi und dem Motorrad …«
»Die Schrotflinte nicht zu vergessen …«
»Die auch.«
»Und weil du mich jetzt für eine gefährliche Psychopathin hältst –«
»– wünsch ich mir, dass du bei mir bleibst. Falls du nicht gerade was Besseres zu tun hast.«
Sie grinste. »Als neue Leibwächterin?«
»So ähnlich.«
»Ich hätte mit dem Ding wahrscheinlich nicht mal das Tor getroffen, geschweige denn einen von denen.«
Er bremste, ließ den Wagen auf dem Waldweg ausrollen, blickte sichernd in den Rückspiegel und zurück durch die Heckscheibe. Dann beugte er sich mit dunklen Augen zu Ash hinüber.
» Nicht als Leibwächterin«, sagte er.
Ihre Lippen trafen sich auf halbem Weg.
Ash lächelte noch immer, als Parker wieder losfuhr. »Wo ist dieser Ort, den keiner findet?«
Das Scheinwerferlicht erhellte vor ihnen ein Band aus grauem Asphalt. Die Landstraße nach Plan-de-la-Tour.
Parker sah noch einmal in den Rückspiegel.
»Am Meer.«
42.
Libatique ist das Kämpfen nicht gewöhnt.
Er tötet nur, wenn es sein muss. Er macht sich ungern die Finger schmutzig und er verabscheut den Gestank von Blut. Heute ist er zur falschen Zeit am falschen Ort, und das macht ihn wütend. Wütend auf Parker Cale und seine kleine Schlampe. Wütend auf Royden, diesen Narr. Wütend vor allem auf diese Hunde, die nur Instinkte haben, keine Talente.
Mühelos tötet er die beiden schwächsten zuerst. Und während die drei übrigen mit neu erwachter Achtung vor ihm zurückweichen und den nächsten Angriff vorbereiten, macht er die Toten zu seinen Waffen. Er stülpt sich ihre Leiber über die Arme bis hinauf zur Schulter und schiebt seine Hände von innen in ihre Schädel, bis seine Fingerspitzen die Augenhöhlen berühren. Ihre leblosen Beine hängen schlenkernd von ihm herab, aber sie stören ihn nicht. Er erweckt nur ihre Köpfe zum Leben, auch das kostet Kraft, und dann erwachen sie, zwei untote Handpuppen, und sie verstehen nichts und schreien und werden auf der Stelle wahnsinnig vor Schmerz und Hass auf die Welt.
Mit ihnen erledigt er den Rest, einen nach dem anderen. Er lässt die Kiefer an seinen Fingern zuschnappen, lässt Zähne beißen und zerreißen, und als er fertig ist und inmitten seiner toten Gegner steht, zieht er sich die beiden Kadaver von den Armen wie ein Chirurg seine Operationshandschuhe und lässt sie bei den anderen liegen. Er hat sie bereits vergessen, als der letzte Lebensfunken sie verlässt.
Sein Anzug ist nicht länger weiß, und das gefällt ihm nicht. Aber bevor er sich auf die Suche nach etwas Passendem machen wird, tritt er vor Royden Cale, der kaum noch atmet, aber alles mitangesehen hat. Mittlerweile ist er so verrückt wie die beiden Hunde: der mangelnde Sauerstoff, der Anblick, vielleicht die Gewissheit, dass am Ende alles
Weitere Kostenlose Bücher