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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weit auf. Parker musste es nach innen schieben und von Hand wieder schließen, nachdem sie hindurchgefahren waren.
    »Wer ist da im Haus?«, fragte Ash.
    »Godfrey. Er ist der Verwalter. Du wirst ihn mögen.«
    »Lebt er immer hier?«
    »An der Côte d’Azur seit fast dreißig Jahren, in Le Mépris über zehn. Er hat schon für die Vorbesitzer gearbeitet. Wenn du ihn kennenlernst, wirst du verstehen, wie außergewöhnlich er ist. Godfrey ist Engländer, aber er weiß alles über diese Küste. Und er kennt das Haus wie kein anderer.«
    Sie verstand nicht, was daran bei einem Gebäude, das kleiner war als die Garage der Villa im Massif des Maures, so bemerkenswert sein sollte.
    »Godfrey ist blind«, sagte Parker. »Aber das scheint ihm nicht viel auszumachen. Es ist bei einem Unfall passiert, vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren. Er sagt, er habe vorher genug von der Welt gesehen.«
    Er steuerte den Wagen im Schritttempo über den holprigen Weg. Hinter den Fenstern von Le Mépris wurden Lichter eingeschaltet. Eine Außenlampe beschien einen kleinen Platz vor der Haustür.
    »Und er lebt ganz allein hier?«
    »Abgesehen von den paar Wochen im Jahr, in denen er mich ertragen muss. Er hat seine Tricks, wie er die Putzfrau überwacht und sich nicht von den Lieferanten der Supermärkte übers Ohr hauen lässt. Und er kennt jeden Fußbreit des Geländes, jeden Stein, jede Stufe. Er hat mich mal meine Augen verbinden lassen und mich durchs ganze Haus manövriert, nur mit seiner Stimme. Ich bin nirgends angeeckt, kein einziges Mal.«
    Ash war froh, dass Parker mit so großer Zuneigung über diesen Godfrey sprach. Vielleicht lenkte ihn das ein wenig von dem ab, was mit seinem Vater geschehen war. Während der Fahrt hatte er ihr erzählt, was er über den Tod seiner Mutter erfahren hatte. Im Gegenzug hatte sie ihm das Innere des Mondhauses beschrieben und die merkwürdige Unruhe, die sie dort gepackt hatte. Sie hatten über den Orden der Hekate gesprochen, über Nineangel und sein Verschwinden in Südeuropa. Aber mit keinem Wort hatte er erwähnt, was im Atelier geschehen war.
    »Ich hab das Haus über Mittelsmänner gekauft. Niemand weiß davon, die Zahlung taucht in keinen Unterlagen auf, alles ist unter der Hand abgelaufen. Ich wollte nicht, dass die Presse Wind davon bekommt.«
    Oder dein Vater, dachte sie.
    »Oder mein Vater«, sagte er.
    Sie schenkte ihm ein Lächeln.
    »Ich hab noch nie jemanden mit hergenommen.« Er stoppte den Wagen vor dem Haus und wandte sich ihr zu. »Ich schätze, dass es dir besser gefallen wird als die verdammte Villa.« Damit nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie so heftig, dass sie Sterne sah und trotzdem nicht damit aufhören wollte.
    Licht fiel durch die Windschutzscheibe in den Wagen. Als sie sich voneinander lösten, wurde die offene Haustür von der Silhouette eines Riesen eingenommen, so groß und breit, dass sie auf allen Seiten an den Rahmen anzustoßen schien.
    Sie stiegen aus und der Mann trat ihnen entgegen. Seine Sonnenbrille machte es schwer, sein Alter zu schätzen; Ash tippte auf Mitte fünfzig. Er hatte keinen Blindenstock und bewegte sich mit bemerkenswerter Sicherheit. Seine Statur, sein dunkler Vollbart und das volle, lockige Haar ließen ihn wie jemanden erscheinen, der nebenbei Werbespots für Single-Malt-Whiskey drehte.
    »Willkommen in Le Mépris«, sagte er mit angenehm tiefer Stimme. »Und Gott sei Dank, dass Sie da sind. Ich habe mir große Sorgen gemacht.«
    »Hallo, Godfrey.«
    »Im Fernsehen und im Radio reden die nur noch über Sie und Ihren Vater.«
    Sie hatten das Radio während der Fahrt nicht eingeschaltet, weil die Ruhe im Wagen nach all dem Chaos das beste Heilmittel zu sein schien.
    Parker fluchte leise. »Das ging ja schnell.« Er war ein wenig blass geworden, aber er hatte seine Stimme gut unter Kontrolle. Ash fragte sich, was wirklich in ihm vorging. »Haben die … ich meine, was haben die gefunden?«
    »Noch sind alle mit dem Feuer beschäftigt.«
    Ash und Parker wechselten einen Blick. »Feuer?«
    »Ein Waldbrand, der das Haus Ihres Vaters von der Außenwelt abgeschnitten hat. Sie sagen, das Gebäude stehe in Flammen und in weitem Umkreis brenne der Wald. Im Moment weiß noch keiner, wann sie überhaupt dorthin durchkommen werden. Ich habe gehofft, dass Sie nicht dort waren, als es passiert ist.«
    »Wir sind gerade noch rechtzeitig rausgekommen.«
    Godfrey wandte sich Ash zu. Hinter den schwarzen Brillengläsern konnte sie seine Augen

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