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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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im Schein des Halbmonds. Weit draußen glitten einsame Lichter über den schwarzen Horizont.
    »Das Haus heißt Le Mépris«, sagte Parker.
    »Klingt hübsch.«
    »Mépris heißt Verachtung.«
    »Cool.« Schulterzuckend kratzte sie sich eine Blutschuppe vom Unterarm. »Kann ja jeder sein Haus nennen, wie er mag.«
    » Le Mépris ist ein Film mit Brigitte Bardot aus den Sechzigern.«
    »Kein 3-D, schätze ich.«
    »Ein Beziehungsdrama. Ein Teil davon spielt in einem merkwürdigen Haus am Mittelmeer. Und weil ich den Film so liebe und mein Haus am Meer liegt – Le Mépris.«
    Sie nahm an, dass der Name ebenso viel mit seiner Borderline-Erkrankung zu tun hatte, mit seinem Selbsthass, mit Schnitten, die er sich früher zugefügt hatte, und dem Medikamentencocktail in seinem Badezimmer. Aber nach allem, was geschehen war, sprach sie ihn nicht darauf an. Und der Gedanke an sein geheimes Haus an der Küste schien ihn während der letzten Stunden tatsächlich ein wenig aufzuheitern. Darüber war sie froh.
    Zu Beginn ihrer Fahrt durch die Nacht hatten sie kaum gesprochen. Die Ereignisse hatten sie durch das Massif des Maures verfolgt, und als sie schließlich in Sainte-Maxime die Küste erreicht hatten, war Ash die endlose Reihe der Leuchtreklamen an den Bars und Hotels deprimierend und trist vorgekommen. Ihren ersten Blick auf das Mittelmeer hatte sie sich anders vorgestellt.
    Die Kette der Hotels und Bars riss nicht ab und Ash wagte kaum sich auszumalen, wie laut und voll es hier tagsüber sein musste. Selbst nachts waren eine Menge Autos unterwegs, und Parker hatte immer wieder sorgenvoll in den Rückspiegel gesehen, ohne je erkennen zu können, ob eines der Scheinwerferpaare hinter ihnen zu Libatique gehörte.
    Nachdem sie das Marschland an der Mündung des Argens durchquert und zahllose Kreisverkehre im Zentrum von Saint-Raphaël hinter sich gelassen hatten, war der Trubel allmählich abgeflaut. Zu ihrer Linken erhoben sich jetzt die Esterelberge, rechts lag das Mittelmeer. Oft versperrten hohe Mauern die Sicht auf die See. Dann und wann erhaschte Ash einen Blick auf Ferienvillen im provenzalischen Stil, mit hellen Fassaden und rotbraunen Ziegeldächern, tollkühn auf Steilwände und in versteckte Buchten gebaut.
    In vielen Gebäuden brannten Lichter hinter zugezogenen Vorhängen. Einfahrten waren mit Kameras und Sprechanlagen gesichert. Einige dieser Grundstücke gehörten laut Parker zu den teuersten der Welt, seit Millionäre aus Showbiz und Großindustrie die Côte d’Azur im frühen zwanzigsten Jahrhundert als Urlaubsparadies entdeckt hatten. Mittlerweile war längst der Massentourismus eingefallen, außerdem eine Flut reicher Russen, die ihre Gasmilliarden zwischen Saint-Tropez und Nizza durchbrachten. Trotzdem schien die Küste ihre mondäne Eleganz nicht gänzlich verloren zu haben, noch wehte der Stil des alten Europa um prunkvolle Villen und Palmenhaine.
    Auf den letzten Meilen waren die Felshänge steiler, die Bebauung spärlicher geworden. In einer Kurve deutete Parker mit einem Nicken auf eine Bucht, die sich im silbrigen Mondschein vor ihnen ausbreitete wie die schwarz-weiße Fotokopie einer Landschaftsmalerei.
    »Da vorn ist es.«
    Ashs Blick folgte dem Verlauf einer zerklüfteten Landzunge, die sich unter Maccia-Buschwerk ins Meer hinausschob. Zweihundert Meter von der Straße entfernt stand ein kleines Haus, das sich kaum von der dunklen See abhob. Das Gebäude selbst erschien denkbar schlicht, man hätte es für eine Fischerhütte halten können, ein Relikt aus der Zeit, als die Grundstückspreise hier noch nicht in astronomische Höhen geschnellt waren. Spektakulär war allerdings die isolierte Lage dort draußen am Meer. Wahrscheinlich passierten Tag für Tag tausende Autofahrer diesen Abschnitt der Küste, ohne einen zweiten Blick auf das unscheinbare Haus zu werfen. Kein Wunder, dass Parker sich in diesen Ort verliebt hatte.
    »Ich hab’s mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt«, sagte er. »Und, ja, ich weiß, wie das klingt.«
    »Wenn man morgens die Suiten von Luxushotels ausmistet, ist man allerhand gewohnt.«
    Der Mercedes bog von der Küstenstraße auf einen unasphaltierten Schotterweg. Nach zwanzig Metern erreichten sie ein Tor in einer Mauer, die sich über die gesamte Breite der Landzunge zog. Parker stieg aus und drückte auf einen Klingelknopf.
    »Ich bin’s«, sagte er in die Sprechanlage. »Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.«
    Sekunden später sprang das Tor einen Spalt

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