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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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oder einem Model besaß, so hätte er nicht zu sagen vermocht, mit wem. Auch das unterschied sie von den meisten anderen ihrer Art; in der Regel wählten Sukkubi immer den einfachsten Weg, um potenzieller Beute aufzufallen.
    Sie trug einen engen cremefarbenen Rollkragenpullover und einen kurzen Rock, flache Schuhe und keinen Schmuck bis auf ein paar Lederbändchen an beiden Armen. Auffällig war nur die große Plastikuhr an ihrem Handgelenk, deren Ziffernblatt mit einer psychedelischen Spirale verziert war. Augenscheinlich hatte auch Elodie die Siebziger nie ganz hinter sich gelassen. Vielleicht war das einfach die beste Zeit für sie gewesen, der Höhepunkt jener Bewegung, die freie Liebe und die Ausschweifungen der Blumenkinder an die Côte d’Azur gespült hatte. Für einen Sukkubus musste es ein Trip ins Schlaraffenland gewesen sein. Parker fragte sich, wie alt Elodie wirklich war.
    »Und du bist der echte Parker Cale?«
    Ihre Stimme gefiel ihm so sehr wie ihre Augen. Sukkubi nutzten Schönheit, Wohlklang und sogar Gerüche mit der Skrupellosigkeit fleischfressender Pflanzen.
    »Ich fürchte, ja«, sagte er. Wenn jemand die Wahrheit erfahren durfte, dann sie. Ein Sukkubus würde niemals die Presse oder die Polizei informieren, dafür war Ihresgleichen viel zu sehr auf Tarnung und Verschwiegenheit angewiesen.
    »Du hast dich an der Bar nach mir erkundigt«, sagte sie. »Woher kanntest du meinen Namen?«
    »Von einem Freund.«
    Sie fragte nicht weiter, sondern kräuselte nur die Lippen. Es mochte ihr gleichgültig sein, solange sie nur bekommen würde, worauf sie aus war. Dennoch überraschte es ihn, als sie nach einem Moment sagte: »Ich bin keine Prostituierte.«
    Er hoffte, dass sein Lächeln sehr kühl und arrogant wirkte. »Glaubst du, darauf wäre ich angewiesen?«
    »Kaum. Aber ich wollte, dass du das weißt. Wir zwei werden unseren Spaß haben, aber ich will dafür nichts von dir. Keine Bezahlung, keine Versprechen, normalerweise nicht mal deinen wirklichen Namen. Was in deinem Fall ein wenig schwierig ist, zugegeben.«
    Er spürte einen Stich von schlechtem Gewissen, weil er mit ihr so beiläufig über diese Dinge redete, während Ash unten am Strand auf ihn wartete. Noch vor einem Jahr hätte er Elodies Angebot angenommen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber das hier war Welten entfernt von Ashs ausgestreckter Hand gestern Abend am Bootssteg, von ihrem Lächeln, ihrer Zuneigung. Ein warmer Schauer durchlief ihn. Daran änderte auch Elodies taxierender Blick nichts.
    Der Aufzug kam mit einem Klingelsignal im sechsten Stock zum Stehen. Ein kicherndes Paar trat vor der Tür zur Seite, damit Parker und Elodie die Kabine verlassen konnten. Er blickte rasch in eine andere Richtung, aber die beiden waren so miteinander beschäftigt, dass sie ihn gar nicht beachteten.
    Elodie führte ihn einen Gang zwischen nummerierten Türen hinunter, als auch der zweite Aufzug hielt. Parker blickte zurück, doch niemand stieg aus. Die Tür glitt zu. Er wandte sich wieder um, blieb aber wachsam.
    Als er mit Elodie in der Bar gesessen hatte, war ihm ein junger Mann aufgefallen, der sie beobachtet hatte. Er war ebenfalls attraktiv, aber er ähnelte keinem der großen Stars, sondern einem exzentrischen Charakterdarsteller, dem Parker einmal am Set begegnet war; eine ungewöhnliche Maskerade für einen Inkubus. Eine nachdenkliche Falte war zwischen seinen Brauen erschienen, als er zu ihnen herübergesehen hatte. Parker hatte erst geglaubt, es ginge um ihn, aber dann war ihm aufgefallen, dass der Mann nur Augen für Elodie hatte. Es war ein besorgter Blick gewesen, und das war erstaunlich: Normalerweise verabscheuten Inkubi und Sukkubi einander, auch wenn es sie in dieselben Jagdgründe zog. Und dennoch hatte dieser Inkubus Elodie angesehen, als wollte er sie von dem Menschen fortreißen, mit dem sie sich abgeben musste.
    Seither war Parker gleich zweifach auf der Hut: vor Elodies Verführungskünsten und vor dem Inkubus, der vielleicht ihr Beschützer war, vielleicht auch mehr.
    Chimena hatte ihn immer wieder auf Gefahren aufmerksam gemacht, die kein gewöhnlicher Mensch bemerkte. Sukkubi und Inkubi waren nicht die einzigen Kreaturen, die wie Spinnen ihre Netze woben, damit sich Sterbliche darin verfingen. Mit der Zeit hatte er eine Antenne dafür entwickelt, und nun sah er sie viel häufiger, als ihm lieb war.
    Elodie bog zweimal ab, ehe sie schließlich vor Zimmer 612 stehen blieb. »Da wären wir«, sagte sie, öffnete und

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