Asche und Schwert
hob.
»Seid Ihr da so sicher? Ihr habt selbst gesagt, dass Ihr Euch um Orakel aus aller Welt bemüht. Müssen Eure Wahrsager eine Prüfung bestehen, bevor sie Euch ihr Werk überreichen dürfen? Oder kann sich jeder melden?«
»Es gibt besondere Kennzeichen, die die echten Wahrsager von bloÃen Narren und Scharlatanen unterscheiden.«
»Von welchen besonderen Kennzeichen sprecht Ihr?«
»Ich glaube, dass die wichtigsten Hinweise sprachlicher Natur sind. Seher plappern in allen möglichen sinnlosen Sprachen daher. Aber wenn eine von Schwindelgefühlen erfasste, betrunkene Priesterin in, sagen wir, Bithynien, die unter dem Einfluss von asiatischem Weihrauch hustend vor sich hin stolpert, plötzlich eine Vorhersage in der uralten Sprache Italiens aus früheren Zeiten macht, dann kann man aus gutem Grund annehmen, dass sie eine Botschaft der Sibylle empfangen hat.«
»Und das ist die Angelegenheit, die Euch nach Neapel geführt hat?«
»Etwas in dieser Art. Sagen wir ⦠Nehmen wir an, dass ein von Geburt an blindes Mädchen aus Syrien, dessen Geist von seltsamen, Träume fördernden Gewürzen aus dem Orient berauscht wurde, plötzlich in griechischen Versen von Dingen zu sprechen beginnt, die sich auf Süditalien beziehen. Ein Ort, an dem sie nie war, und von dem ihr auch nie jemand erzählt hat. Wäre das für Euch seltsam genug?«
»Ich sollte nicht überrascht sein?« Batiatus lachte laut über seine eigene lockere Bemerkung und lächelte die umstehenden Würdenträger an, ohne ihre erstarrten Mienen zu bemerken.
»Die äuÃere Gestalt der Prophezeiungen ist unklar«, erklärte Cicero geduldig, als spreche er mit einem Kind. »Ihre Bedeutung ist nicht unmittelbar offensichtlich. Wo wir gewöhnliche Namen benutzen, verwenden sie poetische Anspielungen. Sie beziehen sich auf vergessene Götter oder merkwürdige Erscheinungen. Zweifellos fanden sich in den sibyllinischen Büchern Hinweise darauf, wie wir Hannibal und seine Elefanten hätten bekämpfen können, aber sagt selbst: Wie wahrscheinlich ist es, dass einer Eurer Vorväter der direkten Erwähnung afrikanischer Ungeheuer, welche über die Berge nach Norden ziehen, Glauben geschenkt hätte?«
»Wollt Ihr damit sagen, dass sich die Prophezeiungen der Sibylle zwar auf die Zukunft beziehen, aber erst nach dem Eintreten der Ereignisse verstanden werden können?«
»Die Bücher irren nicht, nur unsere Fähigkeit, sie zu deuten.«
»Was nützen sie uns dann?«
»Sie bieten uns Führung. Wenn sich ein Ereignis genau so abspielt, wie es in den Büchern beschrieben wurde, bekommen wir einen kurzen Einblick in die Bedeutung des Textes, der die entsprechende Stelle umgibt. Einen Augenblick lang haben wir die Möglichkeit zu verstehen, was mit der nachfolgenden Zeile gemeint ist, und dann können wir vorhersehen, was kommen wird.«
»Aber wenn alles vorherbestimmt ist, welche Rolle spielt es dann noch, ob wir in die Zukunft blicken können oder nicht? Die Zukunft wird dann ohnehin eintreten.«
»Stellt Euch Rom als ein Schiff vor. Ein Schiff mit einer göttlichen Bestimmung, das durch unbekannte Meere segelt.«
Batiatus dachte einen Augenblick nach. »Und die sibyllinischen Bücher sind die Seekarte? Eine Art Seekarte der Zeit?«, sagte er.
»Wenn es zu Eurem Verständnis beiträgt, die Dinge so zu betrachten, dann â ja.«
Gaius Verres schüttelte ungläubig den Kopf und blinzelte Ilithyia zu. Sie lächelte ihn an, und beide nippten an ihren Weinkelchen. Lucretia, die die beiden beobachtete, erkannte, dass sie nicht den Wein genossen, sondern das idiotische Auftreten ihres Mannes.
»Und Ihr seid hier, weil Ihr euch eine dieser Karten besorgen wollt?«, fuhr Batiatus fort.
»Keine Karte, sondern eine Seherin«, antwortete Cicero. »Der verstorbene Marcus Pelorus hat mir mitgeteilt, dass sich in seinem Haus eine Seherin befindet, die aus dem fernen Stamm der Geten kommt.«
Plötzlich bekam Gaius Verres einen Hustenanfall. Rotwein spritzte aus seinem Mund auf Ilithyia, die ihn anherrschte, weil er ihr Seidenkleid beschmutzt hatte, und ihm gleichzeitig mit einer Geste übertriebener Anteilnahme auf den Rücken klopfte.
»Eine Sklavin von Pelorus?«, fragte Batiatus mit einem kurzen Blick auf den immer noch hustenden Verres.
»Eine Frau, die er
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