Aschebraut (German Edition)
wurden noch drei Dutzend andere Gefangene und ihre Besucher von der durchgehenden dicken Glasscheibe getrennt, darunter eine Frau zu Brennas Linken, die mit furchtbar schriller Stimme so oft fragte: »Was soll ich jetzt machen?«, dass Brenna den Mann, dem sie die Frage stellte, beinahe angeschrien hätte, es ihr doch endlich zu sagen, weil sie das Geschrei nicht mehr ertrug. Nick wartete draußen vor der Tür. Darauf hatte sie bestanden. Denn es wäre sicher nicht von Vorteil für Orion, wenn die Mitgefangenen sahen, dass er sich mit einem Bullen unterhielt.
»Mein Name ist Brenna Spector«, stellte sie sich zähneklappernd vor. »Ist es hier überall so kalt?«
»Wie die Titte einer Schwester aus der Psychiatrie«, erwiderte er. »Was ist eine Brenna Spector?«
»Das versuche ich seit neununddreißig Jahren rauszufinden.«
Er entblößte zwei Reihen gelber abgebrochener Zähne. Seine Lippen waren rissig, und die dunklen Wangen und die schwarze Nase waren so rau, als hätte irgendjemand sie mit einem Topfreiniger geschrubbt. Was machen sie hier drin mit dir, Orion? Oder was machte er hier drin mit sich selbst? Das Gefängnis war kein guter Ort, wenn man »etwas neben der Spur« war. Als Obdachloser war Orion sicher schon viel schmutziger gewesen, hatte aber nicht dieselbe Wut wie hier verspürt.
»Und was soll ich mit ihnen machen?«, geiferte die Frau, die links von Brenna saß.
»Hier drin riecht es nach Hustensaft«, stellte Brenna fest.
»Genau.«
»Erzählen Sie mir von Steven Spielberg.«
Wieder schob er sein Gesicht gegen das Glas. Seine kugelrunden dunklen, weich glänzenden Augen sahen wie Billardkugeln aus. »Wollen Sie sich über mich lustig machen?«
»Nein.«
»Doch, das wollen Sie.«
Brenna atmete vernehmlich aus. Jetzt brach die Frau zu ihrer Linken in hysterisches Geschluchze aus. »Ich schaffe das nicht allein«, heulte sie. »Ich kann einfach nicht mehr …« Brenna bekam Kopfweh von dem süßen Hustensaftgeruch, und inzwischen taten ihr vor lauter Kälte selbst die Fingerspitzen weh.
»Orion«, fing sie langsam an. »Glauben Sie allen Ernstes, ich würde aufs Weihnachtsshopping mit meinem Kind verzichten, um hierherzukommen und Sie zu verarschen?«
Er biss sich auf die verkrustete Unterlippe und bedachte sie mit einem bitterbösen Blick. »Weshalb interessiert Sie das?«
»Was?«
»Weshalb interessiert das diesen Cop? Ich habe vor drei Monaten gesehen, wie Spielberg in dieses verdammte Haus gegangen ist, aber das glaubt mir kein Schwein. Und auch das mit der Waffe kauft mir niemand ab. Sie denken, ich hätte sie irgendwo geklaut. Und jetzt taucht er mit einem Mal hier auf. Sie haben mich gezwungen, mit ihm in einem Vernehmungsraum zu reden. Und jetzt kommen Sie und fragen mich nach Spielberg und der Waffe, als ob wir alte Freunde wären. Als hätte Ihnen das nicht dieser Cop erzählt. Was soll ich da anderes denken, als dass Sie mich verarschen wollen?« Er kratzte den Schorf von seinem Handrücken.
»Ich bin hier, weil ich Ihre Hilfe brauche.«
»Schwachsinn. Ich habe endgültig die Schnauze voll.«
Er wollte den Hörer auflegen, doch Brenna sah ihn flehend an.
»Bitte«, stieß sie mit erstickter Stimme aus. »Ich suche meine Schwester.« Nie zuvor hatte sie jemandem erzählt, worum es ihr bei diesem Fall in Wahrheit ging. Meine Schwester.
Er hielt in der Bewegung inne und blickte sie an.
Tonlos formten ihre Lippen das Wort bitte , und als er den Hörer langsam wieder an sein Ohr hob, wiederholte sie es laut.
»Bitte.«
»Sie sagen die Wahrheit.«
Da dies eine Feststellung und keine Frage war, ersparte Brenna sich die Antwort und blickte ihn einfach weiter an.
»Ich dachte, Sie wären eine Psychiaterin oder eine Polizistin«, sagte er. »Oder eine Schwester von der Psychiatrie.«
»Nein«, erklärte sie. »Ich bin nichts von alledem.«
»Das ist mir inzwischen klar.« Er atmete tief durch. »Denn Sie haben Gefühle.«
Brenna schluckte. »Ja.«
Er nickte und sah plötzlich nicht mehr zornig, sondern beinahe gelassen aus. Fast wie ein normaler Mensch. »Also, was zum Teufel haben Steven Spielberg und Ihre Schwester miteinander zu tun?«
Brenna schloss die Augen. »Rob – Spielberg ist vor drei Monaten verschwunden, und ich glaube, da war er mit einer Frau zusammen, die …«
»Die was?«
»Die Geschichten aus meiner Kindheit kennt«, antwortete sie. »Und wenn sie nicht meine Schwester ist, kann sie mir vielleicht zumindest sagen, was aus ihr geworden
Weitere Kostenlose Bücher