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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Tierläufern.«
    Das Kind setzte sich wieder auf die Fersen und grinste. »Doch, ich bin schon eine Tandraj! Meine Mutter hat Tandrajblut. Aber mein Vater ist ein Tierläufer.« Und so ernsthaft, als würde sie Summer damit ein gewichtiges Geheimnis verraten, fügte sie hinzu: »Ich bin etwas ganz Besonderes. Die Tierläufer und die Tandraj sind Feinde. Die Tierläufer können Tandrajblut riechen und sie jagen sie. Aber trotzdem gibt es mich. Obwohl das eigentlich nicht geht.«
    Summer verging das Lächeln. Sie kann beides sein , dachte sie bitter. Warum muss ich mich entscheiden? Und sie ertappte sich dabei, wie sie das Mädchen glühend beneidete.
    Die Kleine deutete auf Zia. »Ein richtiger Tierläufer hätte nämlich keinen Hai als Schwester oder Bruder. Sondern nur Tiere aus dem Wald. Aber dann kam Zia immer wieder in den Hafen, als ich auch da war. Und irgendwann bin ich zu ihr hingeschwommen.«
    Summer sah sich um. »Und deine Eltern? Sind sie hier auch irgendwo in der Nähe?«
    »Nö, die sind in Anakand.«
    Jetzt war Summer sprachlos. Die Kleine war tatsächlich ganz auf sich allein gestellt.
    »Bist du nicht einsam? Wie heißt du denn überhaupt?« »Dajee. Und ich bin nicht einsam, ich habe ja Zia. Und wenn es
hier zu kalt wird, schwimmen wir nach Anakand zurück. Warst du schon oft im Rückwärtsland?«
    Summer schüttelte den Kopf. »Diesen Teil von Tänzer Lichts Reich kenne ich nicht. Ich … lege ihm nur die Toten auf die Schwelle. Und er verrät mir nicht, was dann mit ihnen geschieht. Sagst du es mir?«
    Das Mädchen errötete vor Stolz, mehr zu wissen als die Frau auf dem goldenen Schiff.
    »Tänzer Licht holt sie von der Schwelle aus Tannenzweigen. Und dann bringt er sie in einen Wald, in dem alles umgekehrt ist. Die Blumen sind alle verwelkt und werden dann von Tag zu Tag schöner. Die Früchte, die an den Bäumen hängen, sind erst reif und werden grün. Sie schrumpfen und werden dann zu Blüten. Und die Schmetterlinge falten sich zusammen und kriechen irgendwann in einen Kokon, um sich in Raupen zu verwandeln.«
    »Aber was hat es für einen Sinn, wenn ihr dorthin kommt? Was machen die Toten dort?«
    »Na, lernen! Tänzer Licht lehrt alle Toten die Kunst des Rückwärtslebens. Sie bleiben so lange bei ihm, bis sie wieder zu Kindern werden. Und dann trägt Tänzer Licht jedes Kind wieder zur Schwelle aus Tannenzweigen und du holst es und legst es vor einer Höhle ab, in der ein Mann und eine Frau leben, die ein Kind haben wollen. Und ab da leben die Kinder wieder vorwärts.«
    »So kommt ihr ja nach jedem Leben wieder neu auf die Welt.«
    Seltsamerweise war es diese Geschichte, die Summer in ihrer Zerrissenheit tröstete und so tief berührte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Wer sagt, dass ich mich endgültig entscheiden muss? Es gibt so viele Welten und so viele Arten zu sterben. Vielleicht ist Dajees Geschichte ebenso wahr wie das, was die Zorya über den Tod zu wissen glauben? Und vielleicht , setzte sie zaghaft
hinzu , wenn er nicht Indigo ist … Kann ich beides sein. Raupe und Schmetterling.
    »He, Kleine!«, rief sie dem Kind zu. »Besuchst du mich wieder? Aber pass auf, dass du nur kommst, wenn ich alleine bin. Es gibt hier ein paar … Tänzerinnen, die die Tandraj nicht mögen.«
    Das Kind strahlte vor Freude, die Summer sofort ansteckte.
    »Bringst du mir wieder was mit? Ich mag Kaninchen«, rief sie und sprang ins Wasser. Summer fröstelte, als sie die winzige Hand an der riesigen Rückenflosse des Hais sah. Dann tauchten beide ab, bis sie nur noch Schatten im tiefen Wasser waren.

    »Worum spielen wir denn heute?«, brummte Tellus und starrte angewidert auf die drei winzigen weißen Kegel neben dem Kartenstapel. »Zähne? Geht es dir noch gut, Lady Tjamad?«
    »Sie haben mich viel gekostet«, erwiderte Summer ungerührt. »Besorge du mal Kaninchen aus Lord Joras’ Küchen, ohne dass es jemand merkt.«
    Der alte Wächter schüttelte den Kopf. »Das muss ich wohl nicht verstehen«, sagte er, während er die Karten austeilte.
    Noch bevor sie voller Vorfreude und Erwartung eintrat, spürte sie schon, dass die Luft in den Kammern wie vor einem Gewitter knisterte. Loved saß am Fenster, mit finsterem Blick, unruhig wie ein gefangenes Raubtier. Er blickte kaum auf, als Summer eintrat. »Lange her«, bemerkte er knapp.
    Nach der letzten Nacht, die sie hier verbracht hatten, war es wie ein Sprung von heißem in eiskaltes Wasser. Sie ballte die Hände zu Fäusten und versuchte ruhig

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